Hamburger Information zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik

Ausgabe 27/1999

                                                                                 Hamburg, Mai 1999

 

Hans-Georg Ehrhart/ Matthias Z. Karádi,

 

Krieg auf dem Balkan

Lage, Interessen, Optionen, Lehren und Perspektiven

 

Im März 1999 fielen die ersten NATO-Bomben auf Belgrad. Genau ein Jahr zuvor fragten wir in einem eitrag, ob der Balkan zu brennen beginne und plädierten angesichts der sich anbahnenden Gewalteskalation für eine komplexe Präventionspolitik im Kosovo-Konflikt. Kurz darauf tobte bereits der Bürgerkrieg zwischen jugoslawischen Sicherheitskräften und der Befreiungsarmee für das Kosovo (UCK). Während sich die internationale Gemeinschaft nur mühsam zu politischen, wirtschaftlichen und ersten militärischen Maßnahmen durchrang, gab sich der jugoslawische Präsident Milosevic gesprächsbereit und betrieb gleichzeitig eine gegen die Kosovaren gerichtete Unterdrückungs- und Vertreibungspolitik. Seine Ablehnung des Friedensabkommens von Rambouillet führte schließlich zum Krieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien.

 

1. Wie ist die Lage?

 

Politisch

 

Was hätte das für ein rauschendes Fest werden können! Die NATO beabsichtigte, ihren fünfzigsten Geburtstag als der Stabilitätsanker der europäischen Sicherheit zu begehen: Als Verteidigungsbündnis mit drei neuen Mitgliedern; mit Osteuropa und Rußland freundschaftlich verbunden im NATO-Rußland-Rat, in der Partnerschaft für den Frieden und im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat; als Friedens- und Garantiemacht in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Doch der Krieg auf dem Balkan hat der Jubilarin die Festtagsstimmung gründlich verdorben. Ihr Gipfeltreffen vom 23. bis 25. April 1999 in Washington beging die NATO nicht als Friedensgarant sondern als Kriegspartei.

 

Die NATO führt Krieg, auch wenn ihre Repräsentanten dieses Wort tunlichst vermeiden. Sie sprechen lieber von "humanitärer Intervention", von "militärischen Luftschlägen" und "chirurgischen Eingriffen". Nicht das jugoslawische Volk sei das Ziel, sondern der Despot in Belgrad. Mit anderen Worten: Die NATO befinde sich nicht im Krieg, sondern sie vollführe eine "Polizeiaktion" zur Bestrafung Milosevics aus, quasi eine präventive Maßnahme zur Friedenssicherung. Zugleich wächst jedoch die Nervosität unter den Verbündeten. Denn bislang hat die NATO kaum eines ihrer Ziele erreicht. Darüber können auch die Erfolgs- und Treffermeldungen auf den täglichen Pressekonferenzen in Brüssel nicht hinwegtäuschen. Die westliche Allianz ist gleich einer ganzen Reihe von Fehlkalkulationen erlegen. Es zeichnet sich ab, daß die Allianz ihre Ziele durch die Bombardements nicht erreichen wird, so daß mittlerweile in der NATO eine Diskussion über den Einsatz von Bodentruppen begonnen hat. Zugleich beginnt man zu ahnen, daß die NATO selbst nicht unbeschadet aus dem Konflikt hervorgehen könnte.

 

Die neunziger Jahre werden in die Chroniken eingehen als das Jahrzehnt der Balkankriege. Dabei verlagerten sich die Kriege im ehemaligen Jugoslawien von Norden nach Süden: Es begann 1991 in Slowenien und Kroatien, 1992 folgte Bosnien und 1999 erreichte der Krieg schließlich Serbien, Montenegro und das Kosovo. Lediglich Mazedonien blieb bislang als einzige ehemals jugoslawische Teilrepublik vom Krieg verschont. Offiziell besteht das ehemalige Jugoslawien heute aus fünf Staaten: Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und der Bundesrepublik Jugoslawien. Aber in der Realität sind es mindestens neun Teile, denn Bosnien ist geteilt in eine Serbische Republik und die Föderation, die ihrerseits aufgeteilt ist in kroatisch und bosniakisch kontrollierte Gebiete. Die Bundesrepublik Jugoslawien wiederum besteht aus Serbien, dem Kosovo und dem zunehmend nach Unabhängigkeit strebenden Montenegro. Und selbst in Serbien gibt es die ehemals autonome Provinz Vojvodina und den muslimisch besiedelten Sandschak. Auch Mazedonien wiederum könnte man in einen slawischen Teil und einen albanisch geprägten Teil im Westen aufteilen. Damit sind zwölf verschiedene ethnisch definierte Gebiete im Spiel, die bei einer Neuordnung des Balkans zu berücksichtigen wären. Viele davon streben wiederum nach Vereinigung mit den Nachbarstaaten: Neben "Großserbien" ist auch "Großkroatien" und "Großalbanien" für viele Menschen in der Region ein anzustrebendes Ziel. Angesichts solcher Komplexität ist davon auszugehen, daß eine friedliche Neuordnung des Balkans viele Jahre dauert, enorme Summen kostet und nur über die langfristige Aussicht auf Integration in die euro-atlantischen Strukturen Erfolg verspricht. Dennoch gibt es dazu keine Alternative.

 

Rechtlich

 

Stellen die militärischen Schläge der NATO eine die Souveränität Jugoslawiens verletzende, völkerrechtlich verbotene Gewaltanwendung dar? Oder sind sie zur Durchsetzung fundamentaler Werte der internationalen Gemeinschaft gerechtfertigt? Laut Kapitel VII der UN-Charta ist einzig und allein der UN-Sicherheitsrat dazu befugt, militärische Zwangsmaßnahmen gegen einen souveränen Staat anzuordnen. Dennoch macht man es sich im Falle Kosovo zu einfach, wenn man sich lediglich auf diese legalistische Haltung zurückzieht, zumal man sich über den Charakter der Vereinten Nationen keine Illusionen machen sollte. Sie sind eben nicht ausschließlich ein weltweites System Kollektiver Sicherheit, sondern in erster Linie ein Konzert der Großmächte. Denn bis heute hat das Gewaltmonopol "in der Charta und in der institutionellen Ausgestaltung der Weltorganisation keine Basis. Bestenfalls kann man von einem ‚Autorisierungsmonopol' der UNO sprechen, dessen Bedeutung aber durch die Ermessensfreiheit des Sicherheitsrats eingeschränkt ist".

 

Ist der NATO-Krieg gegen Jugoslawien ein Rechtsbruch oder ein Präzedenzfall, der neues Völkerrecht setzt? Entwickelt sich gar ein Völkergewohnheitsrecht hin zur humanitären Intervention? Und unter welchen Voraussetzungen ist eine solche rechtmäßig? Können aus den menschenrechtlichen Verpflichtungen des Völkerrechts vielleicht sogar verbindliche Rechtspflichten abgeleitet werden, die mit anderen zwingenden Normen des Völkerrechts (etwa dem Gewaltverbot der UN-Charta) konkurrieren? So verpflichtet die vierte Genfer Konvention von 1949 die Unterzeichnerstaaten - also auch Jugoslawien - dazu, keine Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung zu verüben. In der "Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes" von 1948 heißt es in Artikel 1: "Die Vertragsschließenden Parteien bestätigen, daß Völkermord, ob im Frieden oder im Krieg begangen, ein Verbrechen gemäß internationalem Recht ist, zu dessen Verhütung und Bestrafung sie sich verpflichten." (Herv. durch die Verf.) Auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat das Völkermordverbot und seine Durchsetzung als völkerrechtliche Verpflichtung bezeichnet, die verbindlich für alle Staaten gelte. Nun sollte man mit dem Terminus "Völkermord" vorsichtig umgehen, aber wenn auch nur die Hälfte der Berichte über Greueltaten aus dem Kosovo stimmt, muß man konstatieren, daß dort ein Völkermord im Gange ist. Die Völkermorddefinition in Artikel II der Konvention trifft auf die Vorgänge im Kosovo sicherlich zu: "In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe." Auch UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat im Zusammenhang mit dem Kosovo den Begriff "Genozid" gebraucht. Fest steht, daß nicht erst seit den UNO-Einsätzen in Bosnien und Somalia ein Paradigmenwechsel im Völkerrecht stattfindet, nach dem Menschenrechte nicht mehr zu den "inneren Angelegenheiten" eines Staates gehören.

 

Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob durch die NATO im Kosovo nicht ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen wurde, auf den sich auch andere "Ordnungsmächte" berufen können. Droht gar ein zügelloser und militanter Humanismus zur Durchsetzung der Menschenrechte? Denn wer definiert letztendlich, wann und ob eine humanitäre Intervention gerechtfertigt ist? In diesem Zusammenhang ist auch der Vorwurf der Doppelmoral zu diskutieren. Warum greift die NATO im Kosovo ein, duldet aber beispielsweise die Unterdrückung der Kurden durch die Türkei? Auch wenn es berechtigt und notwendig ist, auf diese Doppelstandards hinzuweisen, bleibt diese Argumentation letztlich wohlfeil, wenn sie nach dem Motto verfährt: "Wenn wir nicht überall intervenieren, dann nirgends."

 

Wenn man den Argumenten einer Weiterentwicklung des Völkerrechts im Sinne einer humanitären Interventionspflicht bei Völkermord und schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit folgt, würde dies in der Konsequenz bedeuten, daß daraus eine Interventionspflicht abzuleiten wäre. M.a.W.: Die UNO, die NATO oder die vielzitierte "coalition of the willing" wird bei zukünftigen Kosovos, Ruandas oder Bosniens eingreifen müssen. Daraus folgt eigentlich, daß humanitäre Interventionen nicht selektiv erfolgen dürfen. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß höchstwahrscheinlich auch in Zukunft Atom- und Großmächte nicht zu den "Adressaten" einer humanitären Intervention gehören werden. Aus den oben genannten Gründen müßten deshalb die Bedingungen, die eine humanitäre Intervention rechtfertigen, festgelegt werden. Dazu gehören u.a.:

 

 

Gleichwohl bleibt die grundsätzliche Frage, wer denn, wenn nicht die UNO, die Geltung dieser Kriterien überprüfen soll.

Militärisch

 

Die Militärmaschinerie von Slobodan Milosevic ist zwar geschwächt, aber noch lange nicht ausgeschaltet. Auch wenn ein Großteil der jugoslawischen Luftwaffe mittlerweile am Boden zerstört oder im Luftkampf abgeschossen wurde, ist beispielsweise die serbische Luftabwehr noch längst nicht vollständig zerstört worden. Darüber hinaus sind auch die Armee und die jugoslawische Sonderpolizei noch weitgehend intakt.

 

Die serbische Armee verfügte zu Kriegsbeginn über 114.000 Soldaten, 1.270 Kampfpanzer und 238 Kampfflugzeuge. Darüber hinaus könnte die jugoslawische Armee etwa 400.000 Reservisten mobilisieren. Im Kosovo selbst operieren derzeit bis zu 20.000 serbische Soldaten, weitere 20.000 stehen in den angrenzenden Gebieten.

 

NATO-Streitkräfte:

 

Operation Allied Forces: 800 Flugzeuge von Flugzeugträgern in der Adria sowie italienischen, deutschen, britischen und amerikanischen (B-2-Tarnkappenbomber) Stützpunkten (darunter 14 deutsche Tornados).

Operation Allied Harbour in Albanien: 10.000 NATO-Soldaten, davon 2.000 US-Amerikaner mit 24 Apache Kampfhubschraubern.

Operation (ehemalige Extraction Force) in Mazedonien: Ca. 12.000 NATO-Soldaten (4.000 Briten, 3.000 Deutsche, 2.500 Franzosen, 950 Italiener, 350 US-Amerikaner und 225 Niederländer).

 

Mit der Verlegung der Apache-Kampfhubschrauber plant die NATO massive Luftangriffe gegen die serbischen und jugoslawischen Verbände, die direkt im Kosovo operieren. Ein weiteres Ziel der NATO-Bombardements sind die serbischen Treibstofflager und Raffinerien, von denen ein Großteil bereits zerstört wurde. Die NATO und mittlerweile auch die EU drängen jedoch auf ein Ölembargo gegen Jugoslawien, um die jugoslawische Armee vollständig vom Treibstoff abzuschneiden. Mittels einer Seeblockade soll verhindert werden, daß in Montenegros Häfen weiter Öl gelöscht wird.

 

Die NATO-Operation Allied Forces umfaßt fünf Phasen:

 

Phase null: Die Vorbereitungsphase begann schon im Herbst 1998. Etwa 400 Flugzeuge wurden auf Flugzeugträgern im Mittelmeer und auf Stützpunkten in Italien zusammengezogen. Zugleich fanden zahlreiche Aufklärungs- und Übungsflüge statt.

 

Phase eins: NATO-Generalsekretär Javier Solana leitete mit seinem Einsatzbefehl die Phase eins der NATO-Militäroperation gegen Jugoslawien ein. Er beauftragte den SACEUR, General Wesley Clark, die Operationen einzuleiten. Clark wiederum ordnete am 23. März 1999 die Luftangriffe an, die sich zunächst vor allem gegen Flugabwehrstellungen, Radaranlagen und Kommunikationseinrichtungen der jugoslawischen Armee richteten.

 

Phase zwei: Am 27. März 1999 begann Phase zwei der NATO-Operation. Die Ziele der NATO wurden ausgedehnt auf Panzer, Truppenansammlungen, Materiallager, Treibstofftanks, Kasernen und Luftstützpunkte, die sich südlich des 44. Breitengrades befinden.

 

Phase drei: Seit dem 1. April 1999 läuft Phase drei. D.h. die Luftangriffe wurden auf das gesamte jugoslawische Staatsgebiet ausgedehnt. Bombardiert werden zusätzliche Kasernen, Feldlager sowie Transport-Konvois der jugoslawischen Armee. Darüber hinaus sollen verstärkt Polizei- und Armeeverbände im Kosovo direkt angegriffen werden. Diesem Zweck dient auch die Stationierung von amerikanischen Apache-Kampfhubschraubern, die zusammen mit dem Kampfflugzeug A-10 diese Einsätze fliegen sollen. Zusätzlich hat Wesley Clark weitere Flugzeuge in den USA angefordert, so daß sich die Zahl der verfügbaren NATO-Flugzeuge auf ca. 1.000 erhöhen wird.

 

Phase vier: Die NATO-Flugzeuge und -Schiffe kehren auf ihre Stützpunkte zurück. Die Mission Allied Forces wird beendet.

 

Humanitär

 

Über die Hälfte der 1,8 Millionen Kosovo-Albaner sind mittlerweile vertrieben oder befinden sich auf der Flucht. Die systematische Vertreibung der Kosovaren ist die größte humanitäre Katastrophe in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Bereits vor dem Krieg sind nach Schätzungen des UNHCR etwa 170.000 Kosovaren geflohen. In den fünf Wochen des Luftkrieges sind weitere 700.000 Kosovo-Albaner nach Albanien, Mazedonien und Montenegro geflüchtet. Mehrere Hunderttausend Kosovaren befinden sich innerhalb des Kosovo auf der Flucht bzw. sind von serbischen Einheiten eingekesselt. Mittlerweile werden in Brüssel Überlegungen angestellt, Lebensmittel über dem Kosovo abzuwerfen, um die Flüchtlinge aus der Luft zu versorgen. Es scheint jedoch dem serbischen Kalkül zu entsprechen, eine gewisse Zahl von Albanern im Kosovo als menschliche Schutzschilde für die jugoslawischen Armee- und Polizeiverbände gegen NATO-Luftangriffe und als Geiseln für den möglichen Bodenkrieg festzuhalten.

 

Kasten: "Operation Hufeisen"

 

Die Flüchtlingswellen, die über Albanien und Mazedonien hereinbrechen, stellen diese beiden auf schwachen politischen und ökonomischen Füßen stehenden Länder vor unlösbare Probleme. Es gibt weder genügend Unterkünfte und Zeltlager, noch ausreichend Nahrungsmittel und Medikamente. Sowohl in Mazedonien als auch in Albanien drohen Krankheiten und Seuchen. Auch wenn die Hilfsmaßnahmen des Westens mittlerweile angelaufen sind, stellt es ein kaum entschuldbares Versäumnis der NATO-Staaten dar, die Länder solange alleine gelassen zu haben. Offenbar hat man in Brüssel nicht an die Möglichkeit gedacht, daß die NATO-Angriffe eine Flüchtlingskatastrophe dieses Ausmaßes auslösen könnten. Die Bereitschaft, Flüchtlinge aus der Krisenregion herauszufliegen und ihnen vorübergehend Asyl zu gewähren, ist sehr gering. Zwar haben sich die EU-Staaten unverbindlich darauf geeinigt, 80.000 Vertriebene aufzunehmen - also gerade einmal zehn Prozent -, doch hapert es noch an der Umsetzung. Merkwürdig ist zudem, daß deutsche Gerichte noch kurz vor Beginn der Luftangriffe Abschiebungen von Kosovo-Albanern verfügten und sich dabei auf Lageeinschätzungen des Auswärtigen Amtes beriefen, wonach die Kosovaren keiner landesweiten Gruppenverfolgung ausgesetzt seien. Zu kritisieren ist auch, daß die NATO erst nach über zwei Wochen Krieg auf die Idee kam, die 11.000 Mann starken NATO-Truppen in Mazedonien zur humanitären Hilfe einzusetzen.

 

2. Welche Ziele und Interessen verfolgen die Akteure?

 

NATO

 

Das Engagement der NATO im Kosovo-Konflikt entwickelte sich sehr zögerlich. Noch im März 1998 beschied der NATO-Rat den albanischen Wunsch nach Entsendung von Streitkräften negativ. Die NATO wollte sich noch nicht in den jugoslawischen Sumpf hineinziehen lassen. Ende Mai wurden Prüfungsaufträge zur präventiven Verlegung von NATO-Truppen nach Mazedonien und Albanien an den Militärausschuß der NATO übermittelt. Am 11. Juni 1998 erteilten die Verteidigungsminister den Militärs einen Planungsauftrag, der die ganze Bandbreite möglicher militärischer Einsatzoptionen für das Kosovo bzw. die Bundesrepublik Jugoslawien umfaßte. Im Spätsommer wurden gemeinsame Manöver mit den albanischen und den mazedonischen Streitkräften abgehalten sowie ein Verbindungsbüro im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden in Tirana eröffnet. Mit diesen Maßnahmen sollten einerseits Skopje und Tirana der Unterstützung der NATO versichert werden. Andererseits sollte Druck auf Belgrad ausgeübt werden, um es zu einer einvernehmlichen Regelung des Kosovo-Konflikts zu bewegen.

 

Vor dem Hintergrund der anhaltenden serbischen Offensive und der durch sie ausgelösten Flüchtlingsströme steigerte die NATO im Oktober 1998 den Druck, indem sie mit dem Aktivierungsbeschluß den Oberbefehlshaber ermächtigte, Luftschläge anzuordnen. Dem amerikanischen Sonderbotschafter Richard Holbrooke gelang es in letzter Minute, eine Übereinkunft mit Milosevic zur Beendigung des siebenmonatigen Feldzuges gegen die UCK zu erzielen. Belgrad akzeptierte, den größten Teil seiner Truppen aus dem Kosovo abzuziehen, humanitäre Hilfe für die Binnenflüchtlinge zuzulassen und das Abkommen durch OSZE-Beobachter zu Lande sowie mit unbemannten Flugkörpern aus der Luft überwachen zu lassen. Zum Schutz der OSZE-Beobachter wurden - gegen den ausdrücklichen Willen Belgrads - NATO-Truppen nach Mazedonien entsandt. In der Folgezeit zielte die Politik der NATO auf die Einhaltung dieses Abkommens, welches jedoch seit November 1998 von beiden Seiten verletzt wurde.

 

Als dieses Vorhaben zu scheitern drohte, entwarfen die Mitglieder der Kontaktgruppe einen Friedensplan, der den Konfliktparteien Anfang Februar in Rambouillet zur Annahme vorgelegt wurde. Dieser sieht u.a. ein hohes Maß an Autonomie für die Kosovo-Albaner und die Stationierung einer 28.000 Soldaten umfassenden internationalen Friedenstruppe unter Führung der NATO im Kosovo vor (KFOR). Eine bewaffnete Friedenstruppe lehnte Milosevic aber ebenso grundsätzlich ab wie die Forderung, ihr ganz Jugoslawien zugänglich zu machen. Belgrad sollte nun durch die Androhung militärischer Gewalt zur Unterzeichnung des Friedensplans gebracht werden. Seit Beginn der Luftschläge wurden im- und explizit folgende Ziele verfolgt:

 

 

Russische Föderation

 

Rußland betreibt notgedrungen eine widersprüchliche Politik. Einerseits kritisiert es in harschen Tönen die Luftangriffe der NATO, zieht seine Verbindungsoffiziere aus den NATO-Institutionen zurück und droht mit schwerwiegenden Folgen. Andererseits macht es z.B. auf den Feldern Wirtschaft und Rüstungskontrolle business as usual. Es verschärft den Konflikt nicht, etwa indem es Waffen an die Serben liefert. Vielmehr ist die jetzige Regierung weiterhin an einem Ausgleich mit dem Westen und an einer Lösung des Kosovo-Problems interessiert. Gleichwohl hat Präsident Jelzin die rote Linie klar definiert, indem er einen Politikwandel für den Fall des Einsatzes von Bodentruppen seitens der NATO ankündigte. Moskau hat zwar das Rahmenabkommen von Rambouillet mit verhandelt und den politischen Teil gutgeheißen, aber nicht den militärischen Annex. Ziele und Motivlage Moskaus werden vor allem von folgenden Faktoren beeinflußt:

 

Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ)

 

Über die Absichten und Ziele der jugoslawischen Führung ist viel spekuliert worden. Ist Milosevic ein politischer Hasardeur, ein glühender serbischer Nationalist oder ein kühl kalkulierender Techniker der Macht? Die Erfahrungen aus den vorangegangenen jugoslawischen Erbfolgekriegen spricht eher für die letztgenannte Charakterisierung. Demnach können ihm folgende Motive und Ziele unterstellt werden:

Montenegro

 

Im Vorfeld der NATO-Angriffe verkündete die reformorientierte Regierung Montenegros ihren Beschluß, im Falle einer Auseinandersetzung Jugoslawiens mit der NATO neutral zu bleiben. Im Gegensatz zur jugoslawischen Delegation unterstützte die Regierung Montenegros das Abkommen von Rambouillet. Doch nach den ersten NATO-Bomben auf Montenegro wäre jede Neutralitätserklärung der Regierung Djukanovic politischer Selbstmord gewesen. Während die NATO ihre Bombardements fortsetzt, spitzt sich der Konflikt zwischen Serbien und Montenegro weiter zu. Das kleine Montenegro (600.000 Einwohner) versucht, trotz der NATO-Luftangriffe seine prowestliche Politik fortzusetzen, gerät dabei aber zunehmend unter Druck. Sollte die Reformregierung den Krieg um das Kosovo unbeschadet überstehen, wäre sie ein Hebel, an dem der Westen ansetzen könnte, um die Demokratisierung in ganz Jugoslawien voranzubringen. Sollte in Montenegro jedoch ein Bürgerkrieg ausbrechen, ist eine Invasion der NATO nicht auszuschließen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Interessenlage Montenegros wie folgt dar:

 

 

Die UCK

 

Im Frühjahr 1996, nur wenige Monate nach dem Abkommen von Dayton, war erstmals in den westlichen Medien von der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) die Rede. Im Laufe des Jahres 1997 häuften sich die Anschläge und Terrorakte auf serbische Polizeistationen, aber auch auf serbische Zivilisten und albanische "Kollaborateure". Auch wenn es die UCK nicht gibt, lassen sich mittlerweile doch einige Aussagen über die Ziele und Interessen der Befreiungsarmee machen.

 

 

Mazedonien

 

Auch die Zukunft des mazedonischen Staates ist durch den Krieg im Kosovo gefährdet. Die mazedonische Regierung unter Präsident Gligorov hat es jedoch bislang verstanden, ihr Land aus den kriegerischen Verwicklungen herauszuhalten. Im einzelnen verfolgt Mazedonien folgende Ziele:

 

Albanien

 

Albanien, das Armenhaus Europas, wird seit Ausbruch des Krieges von einer nicht enden wollenden Flüchtlingswelle heimgesucht. Seit den bürgerkriegsartigen Wirren im Frühjahr 1997, bei denen schätzungsweise 2.000 Menschen ums Leben kamen, steht das wirtschaftlich am Tropf des Westens hängende Land kurz vor dem Kollaps. Der Wiederaufbau der staatlichen Institutionen und der maroden Wirtschaft kommt nur schleppend voran. Nach wie vor bedroht die extreme politische Polarisierung zwischen den regierenden Sozialisten unter Majko und der vom ehemaligen Präsidenten Berisha geführten oppositionellen Demokratischen Partei (PD) den brüchigen gesellschaftlichen Konsens. Der Norden des Landes und damit das Grenzgebiet zum Kosovo wird nach wie vor von der PD und der verzweigten Familie Berishas kontrolliert, die auch ihre Finger im Waffenhandel hat. Die Krise und der Krieg im Kosovo destabilisieren das Land zusätzlich. Wie schlimm es um die Wirtschaftskraft Albaniens bestellt ist, verdeutlichen die Aussagen von Kosovo-Flüchtlingen, die entsetzt darüber sind, daß es den albanischen Nachbarn noch schlechter geht als den Kosovaren.

 

3. Welche militärischen Optionen gibt es?

 

Bereits in der ersten Jahreshälfte 1998 erteilten die Staats- und Regierungchefs der NATO den Militärs den Auftrag festzustellen, was sie an Streitkräften benötigen würden, um - einen entsprechenden Beschluß der Politik vorausgesetzt - eine Friedensregelung für das Kosovo militärisch durchsetzen zu können. Die NATO-Stäbe entwarfen die Streitkräfteplanung für vier Szenarien:

 

 

Die NATO-Militärs forderten damals die Bereitschaft der Politiker, Bodentruppen von Anfang an bereitzustellen. Die Eskalationsfähigkeit müsse gegeben sein, da sich mit dem Einsatz von Flugzeugen allein kein dauerhafter Erfolg erzielen lasse. Im nachhinein muß man konstatieren, daß es ein Fehler der NATO-Politik war, den Einsatz von Bodentruppen von vornherein auszuschließen. Das bestärkte Milosevic in der Annahme, daß er im Falle einer Nichtunterzeichnung von Rambouillet "lediglich" NATO-Luftangriffe zu erwarten habe, die seine Macht letztlich nicht gefährden, sondern ihn im Gegenteil innenpolitisch stabilisieren würden. Eine Kalkulation, die bislang aufgegangen ist.

 

Die NATO befindet sich in einem Dilemma: Auf der einen Seite führt sie gegen Jugoslawien Militärschläge von immer größerer Wucht - auf der anderen Seite scheinen dadurch die politischen Ziele der Allianz immer weiter in den Hintergrund zu rücken. Nach fünf Wochen Luftkrieg ist die jugoslawische Armee zwar geschwächt, aber noch lange nicht besiegt. Und auch die Hoffnung auf eine politische Lösung würde ein Einlenken Milosevics voraussetzen. Im einzelnen bleiben der NATO folgende militärische Optionen:

 

  • Einseitiger Stopp der Angriffe

Ein Szenario, auf das sich die NATO vermutlich nicht einlassen wird. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob eine 24stündige Feuerpause der NATO auch ohne entprechende Vorleistungen seitens der jugoslawischen Regierung nicht dazu beitragen könnte, die politischen Verhandlungen wieder aufzunehmen. Sollte Milosevic jedoch auf die Bedingungen der NATO nicht eingehen, müßten die Bombardements wieder aufgenommen werden. Ansonsten hätte dieser sein Ziel erreicht: ein "ethnisch gesäubertes" Kosovo im jugoslawischen Staatsverbund. Die NATO hingegen hätte ihre Glaubwürdigkeit verloren und wäre vor einem skrupellosen Machthaber in die Knie gegangen. Dies wäre der Anfang vom Ende des "erfolgreichsten Verteidigungsbündnisses der Weltgeschichte" und ein fatales Signal für die europäische Sicherheitsordnung.

 

  • Fortsetzung und Verstärkung der Bombardements

"Es wird so lange gebombt, bis Milosevic einlenkt." Diese Aussage wird in Brüssel geradezu gebetsmühlenartig wiederholt. Gleichzeitig kann oder will keiner bei der Allianz die Frage beantworten, was passiert, wenn die serbische Seite nicht einlenkt. Bombt die NATO solange weiter, bis alle albanischen Zivilisten aus dem Kosovo vertrieben worden sind und das Land vollständig zerstört ist? Können die verstärkten Luftangriffe auf serbische Verbände und Panzer im Kosovo die Wende bringen? Es bleibt abzuwarten, ob die Strategie der NATO aufgehen wird und die Bundesrepublik Jugoslawien tatsächlich durch Luftangriffe zum Einlenken gebracht werden kann. Historisch gesehen spricht jedenfalls nichts für diese Annahme, denn noch niemals in der Geschichte ist ein Krieg nur aus der Luft gewonnen worden.

 

  • Brandmauer ("Containment")

Diese Eindämmungspolitik verfolgt die NATO bereits. Sie ist - wie schon in Bosnien 1992 bis 1995 - auch der kleinste gemeinsame Nenner der internationalen Gemeinschaft einschließlich Rußlands. Kein Staat, außer Jugoslawien, kann ein Interesse daran haben, daß der Krieg sich ausweitet und den gesamten südlichen Balkan destabilisiert. Die Stationierung von 10.000 NATO-Truppen in Albanien und 12.000 NATO-Soldaten in Mazedonien dient u.a. diesem Zweck und darüber hinaus eventuell der Vorbereitung eines Bodenkrieges, auch wenn dies offiziell noch dementiert wird.

 

  • "Lift and strike"

Auch dies ist ein Szenario, das wir aus dem Bosnienkrieg kennen. Damals brachte die Aufrüstung der kroatischen und bosnischen Verbände, d.h. die Unterlaufung des UNO-Waffenembargos durch die Amerikaner, in Verbindung mit Luftbombardements der NATO die Wende im Bosnienkrieg. Auf dem bosnischen Schlachtfeld wurde somit die Voraussetzung für das Friedensabkommen von Dayton geschaffen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Amerikaner und die NATO zu einer ähnlichen Vorgehensweise im Kosovo entschließen könnten. Zu befürchten wäre dann ein jahrelanger blutiger Bürgerkrieg.

 

  • Kampfeinsatz von NATO-Bodentruppen

Wenn die Luftschläge und die politischen Initiativen nicht den gewünschten Erfolg bringen, wird sich zwangsläufig die Frage nach Bodentruppen stellen. Die öffentliche Debatte ist jedenfalls in den USA - und nicht nur da - in vollem Gange. Mittlerweile haben bereits der kanadische und der niederländische Verteidigungsminister ebenso wie die amerikanische Außenministerin und NATO-Generalsekretär Solana den Einsatz von Bodentruppen nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen, entsprechende Planungen der NATO werden aktualisiert. Nach Informationen des britischen Observer sind die militärischen Vorbereitungen für einen entsprechenden Einsatz schon weit gediehen. Auch die Verlegung von 24 amerikanischen "Apache"-Kampfhubschraubern nach Albanien könnte dem Einsatz von NATO-Bodentruppen den Weg bereiten. Das gleiche gilt für die Verlegung einer Brigade der in Deutschland stationierten 1. US-Panzerdivision nach Albanien. Bevor es zu einem Bodeneinsatz kommen kann, müßten jedoch die Parlamente der daran beteiligten NATO-Staaten einen solchen Einsatz billigen. Derzeit wird sich noch in keinem NATO-Land eine entsprechende Mehrheit für den Einsatz von Bodentruppen finden. Eine weitere Unbekannte ist Rußland. Auf jeden Fall würde ein Bodenkrieg der NATO im Kosovo die Beziehungen zu Moskau schwer belasten, Monate weiterer Bombardements auf Jugoslawien allerdings ebenfalls. Sollte der Krieg weiter eskalieren, könnte es durchaus sein, daß von allen schlechten Optionen der Einsatz von Bodentruppen noch die erfolgversprechendste sein könnte, denn die anderen Optionen benötigen viel Zeit und machen eine rasche Rückführung der Vertriebenen unmöglich. Die Voraussetzung für ihre Rückkehr müßte aber angesichts der Witterung, der Destabilisierungsgefahr in der Region und des westlichen Unwillens, einem Großteil von ihnen Asyl zu gewähren, spätestens im Sommer geschaffen worden sein. Zwei weitere Aspekte könnten für einen Bodeneinsatz sprechen: Das humanitäre Schicksal der sich noch im Kosovo befindlichen Albaner und die Aussicht, daß eine anhaltende Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien nicht nur die Wiederaufbaukosten in die Höhe treibt, sondern neue Flüchtlingsströme aus den Reihe der zehn Millionen Serben produziert. Sollte sich die Allianz also zu diesem Schritt entschließen, blieben ihr gleichwohl drei verschiedene Optionen:

 

a) Die Errichtung von Schutzzonen im Kosovo

Die Einrichtung "sicherer Gebiete" für die Vertriebenen im Kosovo selbst wäre das Ziel einer oder mehrerer Schutzzonen. NATO-Elitetruppen wie das Allied Rapid Reaction Corps, französische Fallschirmjäger und US-Marines könnten mit Hubschraubern im Kosovo abgesetzt werden und Schutzzonen für Flüchtlinge sichern und so Leben retten. Dafür würden in der Anfangsphase 15.000 bis 20.000 Mann genügen, die später zur Absicherung der "safe areas" aufgestockt werden müßten.

 

b) Die gewaltsame Besetzung des Kosovo

Um das gesamte Kosovo zu besetzen, wären etwa 75.000 bis 100.000 Mann erforderlich. Militärs streiten sich nach wie vor über die Konsequenzen, die eine solche Aktion mit sich bringen würde, und über die Zahl der Truppen, die dafür zusammengezogen werden müßten. Pessimisten gehen von 200.000 Mann aus, warnen vor einem blutigen Partisanenkrieg im unwegsamen Gelände des Balkans und verweisen auf die Erfahrungen der deutschen Wehrmacht von 1941 bis 1945. Optimisten unter den Militärplanern vertreten die These, die Kampfkraft der jugoslawischen Armee werde maßlos überschätzt. Sie gehen davon aus, daß bereits ein NATO-Kontingent von 50.000 Soldaten ausreichen würde, um die demoralisierten und kriegsmüden Serben, ähnlich wie 1991 die irakischen Soldaten, desertieren bzw. nach Serbien flüchten zu lassen.

 

c) Der Marsch auf Belgrad

Dieses Szenario ist zur Zeit unwahrscheinlich und in den bisherigen Planungen der NATO noch nicht vorgesehen. Es sieht einen Bodenkrieg der NATO in ganz Jugoslawien vor, mit dem Ziel, das Milosevic-Regime zu stürzen. Dafür wären nach Einschätzung der Militärs mindestens eine halbe Million Soldaten erforderlich.

 

  1. Welche politischen Optionen existieren?

 

Auch wenn es viele noch nicht wahr haben wollen: Nach dem Ende des kalten Abschreckungsfriedens aus der Zeit des Ost-West-Konflikts ist Krieg wieder ein Mittel der Politik in Europa geworden. Das mag man bedauern, aber die Realität ist so. Freilich sollte Krieg nicht, wie unter Rückgriff auf ein Clausewitz-Zitat häufig behauptet, die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern die Fortsetzung der Politik unter Beimischung anderer, eben militärischer Mittel sein. Im ersten Fall dankt die Politik ab und überläßt dem Militär das Feld. Genau das wollte Clausewitz nicht, weil die in jedem Krieg auftretenden "Friktionen" eine nicht kalkulierbare Eigendynamik entwickeln können, die ihn zum Äußersten treiben lassen. Das ursprüngliche politische Ziel tritt dann in den Hintergrund. Dieses zu verhindern ist die Aufgabe der Politik. Vor diesem Hintergrund gibt es im Jugoslawienkrieg grundsätzlich zwei Optionen: Entweder strebt die NATO einen Diktatfrieden gegen oder einen Verhandlungsfrieden mit Milosevic an. Für beide Optionen lassen sich - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - pro- und contra-Argumente anführen.

 

Argumente für einen Diktatfrieden:

 

Argumente gegen einen Diktatfrieden:

 

Für einen Verhandlungsfrieden sprechen folgende Argumente:

 

Gegen eine Verhandlungslösung spricht:

 

Die Aufzählung der verschiedenen Argumente zeigt, daß es keine befriedigende Lösung gibt. Als am wenigsten schlechte Option erscheint der Verhandlungsfrieden. So oder so wird sich die internationale Staatengemeinschaft auf viele Jahre auf dem Balkan engagieren müssen. Wichtig ist zunächst, daß so bald wie möglich eine Waffenruhe erreicht wird, die politischen Voraussetzungen für eine Rückkehr der Vertriebenen in das Kosovo geschaffen werden und Montenegro nicht gleichgeschaltet wird. Doch wie soll die politische Lösung konkret aussehen? In der Diskussion sind hauptsächlich folgende drei "Modelle":

 

  1. Staatliche Unabhängigkeit
  2. Diese Option ist das erklärte Ziel vieler Kosovo-Albaner. Die dramatischen Ereignisse der beiden letzten Jahre haben diese Grundhaltung nur verfestigt. Warum sollte ein Volk in einem Staat verweilen, dessen Führung es vertreiben wollte? Ein eigener Staat würde bestimmt viele Vertriebene und Flüchtlinge zu einer sofortigen Rückkehr veranlassen. Die Kosovaren können zudem auf die anderen ehemaligen Republiken Jugoslawiens verweisen, die heute souveräne Staaten und Mitglieder der internationalen Gemeinschaft sind. Ein Hauptargument gegen ein souveränes Kosovo ist die Haltung Belgrads. Ihm müßten entsprechende Gegenleistungen angeboten werden. Ein anderes Gegenargument liegt in der von Teilen der UCK vertretenen nationalistischen Idee eines Großalbanien. Ihre Verwirklichung könnte Albanien und Mazedonien in einen Bürgerkrieg stürzen. In dem einen Staat würde die heutige Clanstruktur stark zu Gunsten der Nordalbaner verändert, der andere würde wahrscheinlich daran zerbrechen, was wiederum Bulgarien, Griechenland und die Türkei in Händel verwickeln könnte. Die Serben der bosnischen Teilrepublik Srpska würden gewiß das gleiche Recht auf Anschluß einfordern, wahrscheinlich auch die Kroaten aus der Herzegowina. Die heutige Balkanordnung wäre dahin, ein weiterer Balkankrieg nicht mehr auszuschließen. Ein unabhängiges Kosovo wäre allerdings eine Möglichkeit, wenn seine Sicherheit und territoriale Integrität international garantiert und es ein Anschluß- und Vereinigungsverbot akzeptieren würde. Zudem müßte es demokratisch und multiethnisch strukturiert sein. Denkbar, aber weniger überzeugend weil instabiler, ist eine andere Variante: Ihr zufolge wird das Kosovo unter eine fünfjährige UNO-Treuhandschaft mit zwei selbstverwalteten Regionen gestellt, die sich zu einer bizonalen Föderation entwickeln, deren Sicherheit und territoriale Integrität durch die NATO-Mitglieder garantiert würden. Eine dritte Variante sieht die Unabhängigkeit des Kosovo und als Gegenleistung den Anschluß der bosnischen Teilrepublik Srpska an Serbien vor. Diese Option könnte in Belgrad eventuell auf Gehör stoßen. Sie würde allerdings die Gefahr eines Zerfalls von Bosnien-Herzegowina heraufbeschwören.

     

  3. Teilung des Kosovo
  4. Die Teilungsoption ist eine auf den ersten Blick naheliegende Kompromißlösung. Im Kern folgte sie der Devise "Land gegen Frieden". Die Kosovaren erhielten einen Teil des Kosovo und ihre Unabhängigkeit, Serbien könnte den nördlichen Teil behalten und sich der "demographischen Bedrohung" der Kosovaren entledigen. Für diesen Ansatz spricht, daß er serbischen Vorstellungen eher entgegenkommen und die Wahrscheinlichkeit eines NATO-Landkrieges verringern würde. Die Gegenargumente sind jedoch überzeugender: Erstens würde einer völkischen Politik Vorschub geleistet. Zweitens lehnen die Kosovaren diese Option ab. Drittens wäre ein unabhängiges Rumpfkosovo nicht lebensfähig, es müßte also entweder von der internationalen Gemeinschaft alimentiert und gesichert werden oder den Anschluß an Albanien suchen.

     

  5. Verstärkte Autonomie

Das Rahmenabkommen von Rambouillet ist nach Ansicht vieler Beobachter durch die Ereignisse überholt worden. Andere sagen, es sei für Milosevic unannehmbar gewesen. Dennoch wird es von den NATO-Staaten als Grundlage für eine Friedenslösung angesehen. Für die serbische Seite ist der Plan nicht akzeptabel, weil er das Kosovo faktisch in den Rang einer unabhängigen Republik innerhalb der Grenzen Serbiens erhebt und die Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien verletzt. So hätten die von den demokratischen Selbstverwaltungsorganen des Kosovo erlassenen Rechtsakte Vorrang vor denjenigen der BRJ oder Serbiens. In manchen Bereichen, etwa der unabhängigen Gerichtsbarkeit, würde das Kosovo gar über die anderen Teilrepubliken gestellt. Für die serbische Minderheit im Kosovo ist ein umfassender Minderheitenschutz vorgesehen. Sie wären im kosovarischen Parlament überrepräsentiert, hätten ihrerseits weitgehende Autonomierechte und ein Vetorecht sowohl gegen jedes ihre nationale Interessen beeinträchtigende Gesetz als auch gegen jede Änderung der Verfassung des Kosovo. Die Bundesrepublik Jugoslawien bliebe für die Grenztruppen (maximal 1.500 Mann) und - bis zum Aufbau multi-ethnischer kosovarische Ordnungskräfte - für die Polizei verantwortlich (maximal 2.500). Belgrad wäre des weiteren u.a. zuständig für Verteidigung, Außenpolitik, Währungspolitik, Binnenmarkt, Zollwesen. Ähnlich wie in Bosnien würde eine mit weitreichenden Vollmachten ausgestattete internationale Friedenstruppe für die Sicherheit im Kosovo sorgen, und eine Implementierungsmission der OSZE wäre für die Umsetzung der zivilen Bestimmungen verantwortlich. Das Kosovo wäre für zunächst drei Jahre ein internationales Protektorat. Ob das Kosovo nach Ablauf der drei Jahre im jugoslawischen Staatsverband gehalten werden kann, ist angesichts der langen Leidensgeschichte der Kosovaren zweifelhaft. Die UCK kritisiert am Rambouillet-Plan, daß er nur eine sehr vage Aussicht auf die Berücksichtigung eines Volksentscheides über die Statusfrage enthält und ihre Entwaffnung vorsieht. Zwar böte das Abkommen von Rambouillet den Kosovaren ein Höchstmaß an politischer Eigenständigkeit und Selbstbestimmung innerhalb der Grenzen der heutigen Bundesrepublik Jugoslawien, aber eben nicht die gewünschte staatliche Unabhängigkeit. Um diese zu verhindern, müßte sich die internationale Staatengemeinschaft wahrscheinlich auf einen längeren Aufenthalt einstellen als die vorgesehenen drei Jahre.

 

Anknüpfend an das Rambouillet-Modell hat die deutsche Regierung am 14. April 1999 einen Friedensplan vorgelegt ("Fischer-Plan"). Damit wurde - wenn auch spät - der Versuch unternommen, die Diplomatie wieder stärker ins Spiel zu bringen. Offensichtlich versucht der Westen mit einer Doppelstrategie Milosevic zum Einlenken zu bringen: Während man den militärischen Druck auf die Bundesrepublik Jugoslawien ständig erhöht, sollen zugleich politische Initiativen auf den Weg gebracht werden. Dafür sollen Rußland und damit die Vereinten Nationen wieder stärker miteinbezogen werden. Auf einem EU-Treffen der Staats- und Regierungschefs mit UNO-Generalsekretär Kofi Annan am 14. April 1999 wurde der "Fischer-Plan" positiv aufgenommen. Auf einem G 8-Treffen sollen demzufolge die zentralen Punkte einer UNO-Sicherheitsratsresolution festgelegt werden. Eine entsprechende Resolution könnte dann vom Sicherheitsrat beschlossen werden; diese wiederum müßte dann Belgrad vorgelegt werden. Dafür böte sich der russische Sonderbeauftragte für das Kosovo, Viktor Tschernomyrdin, an.

 

Der Friedensplan im Wortlaut

 

1. Stufe eins: G 8-Ministertreffen einigt sich darauf, daß der von den Politischen Direktoren der G 8 auf dem Dresdner Treffen ausgearbeitete Forderungskatalog an Belgrad in eine Sicherheitsratsresolution der Vereinten Nationen umzugießen ist.

Im einzelnen wäre dabei festzulegen:

 

2. Stufe zwei: Befassung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Diese Einigung sollte noch am selben Tag oder so früh wie möglich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in eine Kapitel VII-Resolution umgegossen werden.

 

3. Stufe drei: Umsetzung

 

4. Parallel dazu: Militärische Absicherung über dem und außerhalb des Kosovo:

 

 

5. Bei Umsetzung der VN-Resolution:

So rasch wie möglich, spätestens aber mit Ankunft der Vorauskräfte der internationalen VN-Friedenstruppe in das Kosovo beginnen die internationalen Hilfsorganisationen ihr Werk.

 

6. Zeitgleich mit erfolgtem jugoslawischem Truppenabzug:

 

Quelle: SPIEGEL ONLINE, 14. April 1999.

 

 

Auch wenn der Bonner Friedensplan insgesamt positiv aufgenommen wurde, erhält er zugleich eine ganze Reihe von schwierigen Punkten:

 

 

  1. Was lehrt uns der Jugoslawienkrieg?

 

"Das Hemd ist näher als der Rock"

Der vierte jugoslawische Erbfolgekrieg hat erneut vor Augen geführt, daß es noch ein langer Weg ist bis zur Errichtung einer stabilen europäischen Friedensordnung, die Kriege wie im ehemaligen Jugoslawien undenkbar macht. Trotz zunehmender Globalisierung dominieren in Sicherheitsfragen immer noch die Staaten, folglich bleibt ihr politischer Wille zur Kooperation eine notwendige Bedingung für jeglichen Fortschritt in diese Richtung. Das gilt insbesondere für Großmächte. Sie sind im Kosovokonflikt nicht nur an der Intransigenz der Konfliktparteien gescheitert, sondern auch an ihrer eigenen Heuchelei und Konzeptionslosigkeit. Die Leidtragenden sind in erster Linie die Menschen vor Ort. Aber auch die internationale Staatengemeinschaft hat allen Grund, über Konsequenzen für die künftige Sicherheitsgestaltung in Europa nachzudenken. Soll sie durch den Aufbau von exklusiven Einflußzonen im Dienste militärisch abgesicherter nationaler Interessen erfolgen oder durch die graduelle Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheitsraumes, in dem das vermeintliche Recht des Stärkeren durch die Stärke des Rechts abgelöst wird? Die Stärke des Rechts erfordert allerdings sowohl die Zustimmung der ihm unterworfenen Staaten als auch die Mittel, die Instrumente und die Bereitschaft, dem gemeinsamen Recht zur Not auch gegen Widerstreben Geltung zu verschaffen. Dazu sind die Staaten allerdings nur in Ausnahmefällen und nur dann bereit, wenn "nationale Interessen" auf dem Spiel stehen. Ergo: Das (nationale) Hemd ist ihnen immer noch näher als der (gesamteuropäische) Rock.

 

"Vorbeugen ist besser als schießen"

Die Notwendigkeit von Prävention gehört mittlerweile zu den Standardbekenntnissen von Politikern. Gleichwohl stellt sich in der Realität immer wieder das Problem, eine Konflikteskalation durch präventives Handeln zu verhindern. Einerseits ist es die vornehmste Aufgabe von Sicherheitspolitik, kriegerische Konflikte zu vermeiden. Gleichwohl gibt es immer wieder Krieg. Zweierlei muß in diesem Zusammenhang konstatiert werden: 1. In Sozialbeziehungen sind Konflikte etwas Normales. Es kommt auf die Art der Konfliktbearbeitung an. 2. Prävention kann scheitern. Sie setzt dreierlei voraus: die Bereitschaft, präventive Maßnahmen zu ergreifen, die damit zusammenhängenden Kosten zu tragen und die entsprechenden Instrumente zur Verfügung zu stellen. Zu beantworten sind drei Fragen: Wann soll Prävention einsetzen? Wieviel muß investiert werden? Welche Instrumente sind notwendig und müssen zur Anwendung kommen? Die Antworten auf diese Fragen sind wiederum abhängig von drei dynamischen Variablen: dem Konfliktgegenstand, der Konfliktstruktur und dem Konfliktstadium. Im Kosovokonflikt sind präventive Maßnahmen durchgeführt worden, allerdings zu spät, mit unzureichender Intensität und mit unzureichenden Instrumenten. Folglich müssen die Möglichkeiten der internationalen Gemeinschaft zur effektiven Durchführung von präventiven Maßnahmen dringend verbessert werden. Neben den in der Phase des Vorkonflikts einsetzbaren klassischen Instrumenten der präventiven Diplomatie sollte eine Präventionsstrategie entwickelt werden, die friedensfördernde inner- und zwischengesellschaftliche Strukturen schafft und langfristig stabilisiert. Gleichwohl stellt sich angesichts der niemals auszuschließenden Möglichkeit der Unwirksamkeit von Prävention die Frage, was in der konkreten Gewaltsituation getan werden kann/soll/darf. Auf jeden Fall gilt: Vorbeugen ist besser als schießen!

 

"Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende"

Hat ein Konflikt die Welle zur Gewaltanwendung überschritten, so haben Außenstehende in der Regel drei Optionen. Besteht Desinteresse am Konflikt, so verhalten sie sich neutral. Sind Interessen involviert, kann eine Eindämmungs- oder eine Kriegsbeendigungsstrategie verfolgt werden. Entscheidend ist jedenfalls die Interessenlage. Diese ist in der Regel dynamisch und wird durch vielfältige Faktoren wie z.B. Absichten, Fähigkeiten, Werte, Kosten-Nutzen-Kalkül, Rechtslage, gesellschaftliche Akzeptanz etc. beeinflußt. Obwohl der Kosovo-Konflikt bereits seit langem schwelte, begannen ernsthafte diplomatische Aktivitäten erst nach dem Umschlagen des friedlichen Widerstandes der Kosovaren in gewaltsamen. Die ersten sieben Jahre hielt sich die Staatengemeinschaft weitgehend aus dem Konflikt heraus, ab 1997/98 wurde die präventive Diplomatie unter Einschluß der Androhung militärischer Gewalt verstärkt, und seit dem 24. März 1999 führt die NATO Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Anders als im Bosnienkrieg wurde dieses Mal nicht gewartet, bis 250.000 Kriegstote zu beklagen waren. Gleichwohl wurde nach der Devise "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" gehandelt. Zur Erreichung des humanitären Ziels hätte von vornherein der Einsatz von Bodentruppen angedroht und gegebenenfalls durchgeführt werden müssen. Statt dessen wurde aber die humanitäre Katastrophe in Kauf genommen, um die eigenen Kräfte zu schonen. Auf der Strecke blieben diejenigen, um die es eigentlich ging: die Kosovaren. Unter der Prämisse einer gescheiterten präventiven Konfliktbearbeitung muß also die Folgerung gezogen werden: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

 

"Der Herr ist so stark, wie der Knecht zuläßt"

Die im Kosovokonflikt gemachten Erfahrungen zeigen, daß es offenbar weiterhin der Entschlossenheit und Führung der USA bedarf, wenn es um die Regelung schwerwiegender europäischer Sicherheitsprobleme geht, und daß dabei die NATO als wichtigstes amerikanisches Instrument politischer Einflußnahme andere Sicherheitsorganisationen wie die UNO, die EU und die OSZE marginalisiert. Obwohl die Mitgliedstaaten in jüngster Zeit im Gegensatz zum Bosnienkonflikt eine für ihre Verhältnisse erstaunliche gemeinsame Haltung an den Tag legten, war die EU offenbar nicht der geeignete Krisenmanager. Ein Grund dafür liegt in der zunächst halbherzigen Behandlung des Problems, ein anderer wohl auch in der Unfähigkeit zum Einsatz militärischer Zwangsmittel. Zwar gelang es der EU, mit der Konferenz von Rambouillet noch eine letzte diplomatische Initiative zu starten und so ein von den USA favorisiertes vorheriges militärisches Eingreifen hinauszuschieben. Doch nach dem Scheitern der Verhandlungen dominierten die militärische Logik und damit die USA. Sie stellen zwei Drittel der an den Luftschlägen beteiligten Kräfte, sie allein verfügen über ein komplettes Lagebild, folglich bestimmen sie auch die Politik. Daraus folgt zweierlei: Erstens muß die Fähigkeit der EU zur Früherkennung sich anbahnender Konflikte und zur politischen Handlungsfähigkeit bei der zivilen Konfliktbearbeitung verbessert werden. Zweitens bedarf Krisenmanagement in Europa unter Einmischung militärischer Mittel auch künftig amerikanischer Führung. Die daraus resultierende Einengung des europäischen Handlungsspielraumes erfordert dringend die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik unter Einschluß militärischer Kapazitäten und strategischer Aufklärungsmittel, die gegebenenfalls unabhängig von den USA und gebunden an ein Mandat der UNO oder der OSZE eingesetzt werden können. Denn: Der Herr ist so stark, wie der Knecht es zuläßt.

 

"Nach dem Krieg ist vor dem Krieg"

Wenn der Jugoslawienkrieg beendet ist, herrscht noch lange kein Frieden. Von den zahlreichen Imponderabilien seien nur erwähnt: die politische Zukunft des Kosovo und der Bundesrepublik Jugoslawien, die Entwaffnung der UCK, die Revanchegelüste, die Grenzfrage, die Rückkehr der Flüchtlinge, die Traumata vieler Menschen, der politische und wirtschaftliche Wiederaufbau, die Stabilisierung der Nachbarstaaten oder Umfang, Art und Zeitrahmen des Engagements der internationalen Gemeinschaft. Die nach dem Krieg einsetzende Aufgabe der Friedenskonsolidierung macht ein umfassendes und nachhaltiges internationales Engagement unverzichtbar. Notwendig ist eine komplexe Stabilisierungspolitik, welche Maßnahmen zur militärischen Absicherung des Friedens und Abrüstung ebenso umfaßt wie vertrauensbildende Maßnahmen, die internationale Einbindung der Akteure und insbesondere langfristig wirkende politische, soziale, wirtschaftliche und psychologische Maßnahmen, die allen betroffenen Individuen zugute kommen müßten. Eine solche Strategie braucht langen Atem und kostet viel Geld. Gleichwohl ist sie weitaus billiger als Krieg. Sollte eine nachhaltige Friedenskonsolidierung nicht gelingen gilt: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

 

Was kostet der Jugoslawienkrieg?

Über die Kosten des noch anhaltenden Krieges existieren nur ungenaue und vorläufige Schätzungen. Ganz allgemein kann man sagen, daß die sozialen und wirtschaftlichen Lasten für das Kriegsgebiet und die direkt betroffenen Anrainerstaaten am höchsten sind. Um zwischen April und Juni 350.000 Vertriebene versorgen zu können, veranschlagt der UNHCR 65 Mio. Euro. Ungefähr die gleiche Summe kostet nach Schätzung des Washingtoner Zentrums für strategische und budgetäre Studien (CSBA) ein Tag Luftkrieg. Ein Tag Bodenkrieg würde nach dieser Quelle rund 930 Mio. Euro kosten. Die amerikanische Bank Lehmann Brothers veranschlagt einen Monat Luftkrieg inklusive der Kosten für Flüchtlinge auf über 14 Mrd. Euro. Hinzu kommen die Kosten für die Zeit nach dem Krieg, etwa für Truppenstationierung und Wiederaufbau. So wird allein die Erneuerung der zerstörten Infrastruktur der BRJ bislang auf 24 Mrd. Dollar geschätzt. Experten sagen der jugoslawischen Wirtschaft, die 1998 nur die Hälfte der Wirtschaftsleistung von 1989 erreichte, eine weitere Schrumpfung um 25 Prozent voraus. Da das Pro-Kopf-Einkommen das Niveau der letzten Jahrhundertwende erreicht haben soll, ist nach Kriegsende mit einer Auswanderungswelle der Serben zu rechnen. Nicht einbezogen sind ferner die makroökonomische Konsequenzen des Krieges für die anderen Länder in dieser Region wie Hyperinflation, Arbeitslosigkeit oder Haushaltsdefizit. So beträgt nach Angaben des bulgarischen Ministers für Außenhandel allein der tägliche Handelsverlust für dieses Land 242 Mio. Euro. Auf die Bundesrepublik Deutschland kommen 1999 für die unmittelbare Militäraktion und die humanitäre Hilfe auf jeden Fall Kosten von mindestens einer halben Mrd. Euro zu.

 

Was tun?

 

Die Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien ist vertrackt, die weitere Entwicklung nicht absehbar. Nur eines zeichnet sich immer klarer ab: Die eigentlichen Verlierer sind zunächst einmal diejenigen, in deren Interesse man zu handeln vorgab. Dennoch: Der deutsche Friedensplan geht in die richtige Richtung. Der Versuch, Rußland und die UNO einzubinden, ist nicht nur vernünftig sondern unerläßlich. Es gibt keine Alternativen zu diplomatischen Lösungsversuchen, allerdings: It takes two to tango. Was ist, wenn die Belgrader Führung nicht mitspielt? Dann hieße die Alternative, entweder die Rückkehr der Kosovaren bis zum Herbst zu erzwingen oder ihnen eine andere (vorübergehende) Heimstadt zu bieten. Eine Verengung des Problems auf die Person Milosevic würde jedoch der Komplexität der Lage nicht gerecht, denn schließlich wird er von der großen Mehrheit der jugoslawischen Elite und der Bevölkerung unterstützt. Das Problem ist vielmehr primär strukturell und nicht auf die Bundesrepublik Jugoslawien beschränkt. Darum ist die zur Zeit diskutierte Vorstellung eines Marshall-Plans für die ganze Region der richtige Ansatz. Darüber hinaus müßte ein politischer Gesamtrahmen geschaffen werden, der die bereits bestehenden Regionalinitiativen wie den Royaumont-Prozeß, die South European Cooperative Initiative, die Zentraleuropäische Initiative oder Schwarzmeerkooperation ebenso einbindet und für das Stabilisierungsprojekt nutzbar macht wie die Möglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen. Nach einem Waffenstillstand böten sich u.a. folgende Schritte an:

 

Angesichts der Problemkomplexität ist davon auszugehen, daß eine friedliche Neuordnung des Balkans Jahrzehnte dauert, große Summen kostet und nur über die langfristige Aussicht auf Integration in die euro-atlantischen Strukturen Stabilität verspricht. Dennoch gibt es dazu keine Alternative. Demokratisierung in Serbien und in allen anderen Ländern des Balkans ist der Schlüssel zum Fortschritt. Voraussetzung dafür ist die Förderung neuer Eliten und unabhängiger Medien sowie wirtschaftlicher Aufschwung. Die Staaten auf dem Balkan haben mittel- bis langfristig keine andere Möglichkeit als die ökonomische Reintegration. Die historisch gewachsenen Handelsverbindungen werden wieder aufgenommen werden müssen, um eine okönomische Gesundung des Gebietes zu erreichen, die über die Wiederaufbauhilfen der internationalen Gemeinschaft hinausgeht. Vielleicht kann die westeuropäische Integration als Modell dafür dienen, wie aus ehemaligen Todfeinden, Freunde und Partner wurden. Auch wenn der Weg dorthin weit ist, ist die Alternative dazu Krieg, Tod und Vertreibung.