Am 12. Juli 2023 ist der NATO-Gipfel im litauischen Vilnius zu Ende gegangen. In der phoenix runde ordnete Dr. Tobias Fella abends seine Ergebnisse und Konsequenzen ein.
Einleitend warnte der Konfliktforscher vor einer Debatte, die zwischen den Extrempolen der Bewertung des Gipfels pendele. Entweder werde der Ausgang des Treffens als „strategische Nullnummer“ oder als Weg in eine bewusst in Kauf genommene Eskalation gegenüber Russland eingeordnet. Eine solche Darstellung vernebele für ihn einerseits den Blick auf die global- und allianzpolitischen Kontexte der Zusammenkunft und andererseits auf die konkret getroffenen Entscheidungen der Allianz.
Für Fella verdeutlichte der Gipfel, dass die USA als Weltmacht und als Führungsmacht der NATO weiter einen sorgsam abgestimmten Kurs in ihrer Ukrainepolitik verfolge. Dieser beruhe darauf, die Wehrhaftigkeit der Ukraine auf einem hohen Niveau zu halten und in spezifischen Sektoren zu steigern, ohne dadurch eine militärische und potentielle nukleare Konfrontation mit Russland zu riskieren. Vor diesem Hintergrund verweist Fella u.a. auf eine US-Außenpolitik die die Entscheidungsautonomie der Bündnispartner wahre und den gewählten Fokus auf den Indo-Pazifik nicht gefährden wolle.
Darüber hinaus skizzierte der Politikwissenschaftler eine westliche Strategie, die gegenüber Russland auf eine robuste Verteidigung des Bündnisgebiets und auf Abschreckung setze. Dies habe zur Folge, dass die Handlungsspielräume für die traditionelle, vertragsbasierte Rüstungskontrolle auf absehbare Zeit begrenzt seien. Den westlichen Staaten empfahl er in diesem Kontext, sich auf eine langfristige Konfrontation mit Moskau einzustellen, die allerdings Gegnerschaft nicht absolut, sondern relativ definiere, sowie stets die Logiken des Gegenübers mitdenke und daraus Verhandlungspotentiale und mögliche Eskalationspfade ableite.
Schließlich sei, so Fella, eine Politik, die nur zwischen 0 und 1 unterscheide und darauf setze, dass die andere Seite zuerst blinzele, alles nur eines nicht: vernunftgeleitet und verantwortungsbewusst gegenüber den Bevölkerungen der Ukraine und der NATO-Partner.
Die Sendung phoenix runde „NATO im Ukraine-Dilemma - Bündnis im Stresstest?“ vom 12.07.23 können Sie in der ARD-Mediathek hier abrufen.