Mysteriöser Tod von Kremlkritiker Nawalny, Putins Rede zur Lage der Nation einschließlich nuklearer Drohungen gegen den Westen – und der nicht enden wollende Krieg in der Ukraine: so viele tagesaktuelle Themen und nur einen Abend Zeit, um über sie zu reden: Die IFSH-Wissenschaftlerin Dr. Regina Heller war diesmal im HADLEY’s Abendsalon zu Gast und gab den Besucher:innen einen tiefen Einblick in die Besonderheiten der russischen Politik und Gesellschaft. „Wie hat der Angriffskrieg gegen die Ukraine Russlands Staat und Gesellschaft verändert?“ lautete die Frage des Abends. Regina Heller, studierte Politikwissenschaftlerin und Slawistin sowie profunde Russlandkennerin, berichtete über die politische und gesellschaftliche Ausgangslage in Russland vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen.
Welchen Einfluss hat russische Gesellschaft?
Könnte gesellschaftlicher Druck Putin zu einem schnelleren Kriegsende drängen? Nach Einschätzung der Expertin sei dies eher unwahrscheinlich und das, obwohl viele russische Familien gefallene Söhne und Männer zu betrauern haben. Nach Beobachtung der Wissenschaftlerin seien die innergesellschaftlichen Proteste schnell abgeflaut, als sie durch die russische Gesetzgebung kriminalisiert wurden. Zudem seien sie nicht stark genug, auch wenn die Zahl der Kriegsbefürworter:innen mittlerweile signifikant zurückgegangen sei, wie Umfragen zeigten.
Nichtsdestotrotz sei eine gewisse Kriegsmüdigkeit bei den Russ:innen zu beobachten. Die zahlreichen Blumenniederlegungen bei der Beisetzung des Kremlkritikers Nawalny, der Ende Februar unverhofft und unter ungeklärten Umständen im sibirischen Straflager ums Leben gekommen war, seien Ausdruck dessen gewesen. In seiner international beobachten Rede zur Lage der Nation sei der russische Präsident hingegen nicht auf die Kriegsmüdigkeit im eigenen Land eingegangen, sondern habe im Gegenteil den Krieg als alternativlos dargestellt und seine Landsleute eingeschworen, weiter mitzukämpfen.
Darüber hinaus führte die Russlandexpertin aus, welche entscheidende Rolle unabhängige russische Medien im Exil haben und warum die russische Wirtschaft trotz Sanktionen nach wie vor robust dastehe.
Optionen und Perspektiven im Angriffskrieg gegen die Ukraine
Das Interesse der Zuschauer:innen an dem Thema war groß, so groß, dass nicht alle Interessierten einen Platz ergattern konnten. Und das Publikum hatte viele Fragen an die Wissenschaftlerin. Warum ist es so schwierig, den Krieg in der Ukraine zu beenden und welche Optionen und Perspektiven gibt es? Nach Einschätzung von Regina Heller wird sich der Krieg wahrscheinlich noch eine Weile fortsetzen. Sowohl die Ukraine als auch Russland hielten an ihren Maximalforderungen fest – und das obwohl keine Seite substanzielle Fortschritte im Krieg mache, so die Expertin. Zudem seien die Kosten für Russland zurzeit noch nicht hoch genug, als dass das Land zu Verhandlungen bereit wäre. Und auch die Frage, welche Länder bei den Friedensverhandlungen assistieren könnten, sei noch nicht abschließend geklärt. All das mache ein baldiges Kriegsende eher unwahrscheinlich, schloss Regina Heller.
Der nächste HADLEY’s Abendsalon mit Beteiligung des IFSH findet am 8. April um 19:30 Uhr statt. Dann wird Dr. Anne Menzel über feministische Außen- und Sicherheitspolitik und ihre Erfahrungen im westafrikanischen Sierra Leone berichten. Da die Nachfrage oft größer ist als die Zahl der vorhandenen Plätze, wird um vorherige Anmeldung gebeten. Weitere Informationen finden Sie hier.