Aufstandsbekämpfung in Afghanistan: politische und ethische Dilemmata

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat mit seiner Charakterisierung des Afghanistaneinsatzes als „nicht-internationaler bewaffneter Konflikt“ Klarheit in die deutsche Debatte gebracht. Es geht um eine kriegsähnliche Auseinandersetzung. Das Völkerrecht unterscheidet nur noch zwischen internationalen und nicht-internationalen bewaffneten Konflikten.

Obwohl Krieg seitdem kein gültiger Rechtsbegriff mehr ist, findet er weiterhin in Form von organisierten Gewaltkonflikten zwischen oder innerhalb von Staaten statt. Während die Zahl der internationalen bewaffneten Konflikte seit 1949 stark rückläufig ist, steigt der Anteil der nicht-internationalen bewaffneten Konflikte. Ihnen wird seitens staatlicher Akteure oftmals mit dem Konzept der Aufstandbekämpfung begegnet.

Aufstandsbekämpfung ist nach heutigem Verständnis eine besondere Art der Kriegführung durch eine (im Fall Afghanistan von außen unterstützte) Regierung gegen oppositionelle Kräfte, die eine Kombination von offensiven, defensiven und stabilisierenden Maßnahmen umfasst. Aufstandbekämpfung zielt auf den Sieg über einen vermeintlich „schwachen“ Gegner, der mit traditionellen militärischen Mitteln allein nicht niedergerungen werden kann. Im Kern geht es um ein politisches Problem: Um die Akzeptanz der jeweiligen Ordnungsvorstellungen in der Bevölkerung. Der Erfolg soll durch eine Kombination von „Zuckerbrot“ – politische Einbindung, entwicklungspolitische Unterstützung etc. – für die politischen Akteure und die Teile der Bevölkerung, die mit dem Interventen kooperieren, und „Peitsche“, also hartes militärisches Vorgehen gegen diejenigen, die dazu nicht bereit sind, erzielt werden.

Es handelt sich um einen asymmetrischen Konflikt, in dem sich der „Starke“ modernster Kriegstechnik bedient, während der „Schwache“ alle zur Verfügung stehenden Mittel – einschließlich terroristischer Gewaltakte – einsetzt und innerhalb der Bevölkerung operiert.

Der Stabilisierungsauftrag der NATO-geführten ISAF war und ist das ergänzende Gegenstück zum US-geführten Kampf gegen Al Qaida und die Taliban zur Unterstützung der afghanischen Regierung. Mittlerweile sind beide Operationen de facto unter amerikanischem Kommando integriert. Die Verschlechterung der Sicherheitslage im Norden Afghanistans hat nicht nur dazu geführt, dass sich die USA im von Deutschland geführten Regionalkommando Nord immer stärker mit Spezialkräften militärisch engagieren. Die intensivierten Aktivitäten der Aufständischen, aber auch Druck seitens der Bündnispartner und die afghanische Kritik am zurückhaltenden deutschen Vorgehen drängen die Bundesregierung dazu, den Schwerpunkt von der Stabilisierung hin zur Aufstandsbekämpfung zu verlagern. Dementsprechend sind die Einsatzregeln der Bundeswehr geändert worden. Zu erwarten ist auch eine weitere materielle und personelle Verstärkung des deutschen Kontingents. Die zunehmende militärische Aufstandsbekämpfung könnte Deutschland und die Bundeswehr in schwerwiegende politische und ethische Dilemmata führen.

Die Geschichte der Aufstandsbekämpfung zeigt, dass es sich dabei um die wohl älteste undbrutalste Form von Gewaltkonflikten handelt. Aufstände der unterschiedlichsten Arten hat es in der menschlichen Geschichte häufig gegeben. Armeen der Herrschenden hatten wohl immer die Aufgabe gesellschaftlichen Gruppierungen in Schach zu halten und Aufstände niederzuschlagen.

Die Aufstandsbekämpfung geschah bis zum Beginn der Moderne in der Regel durch exzessive Gewaltanwendung. Diese wurde in der Moderne etwas eingehegt durch die Aufklärung und die damit verbundenen humanistischen Normen sowie die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit durch Polizei und Militär. Gleichwohl blieben erfolgreiche Aufstandsbewegungen weiterhin die Ausnahme. Erst nach 1945 schlug das Pendel zu Gunsten von Aufstandsbewegungen um, wie etwa die Erfolge gegen die Kolonialmächte gezeigt haben. Selbst mit brutalsten Mitteln (systematischer Terror, Folter, Massaker) geführte Aufstandsbekämpfungen in Algerien, Vietnam und Afghanistan endeten mit Niederlagen der involvierten Groß- und Supermächte. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Sie reichen vom stärkeren Rückhalt der Aufständischen in der Bevölkerung und ihrer größeren Leidensfähigkeit über die normative Einhegung der Gewalt durch das Völkerrecht bis zur Aversion postmoderner demokratischer Gesellschaften gegen exzessive Gewaltanwendung.

Der als externer Akteur auftretende demokratische Staat scheint im asymmetrischen Konflikt mit Aufständischen immer im Nachteil zu sein. Respektiert er die eigenen ethischen Grundsätze und die (völker)rechtlichen Normen, so dürfte er Schwierigkeiten haben gegen einen Gegner, dem das alles nichts bedeutet, weil er einer anderen „Rationalität“ folgt. Passt sich der Starke den Methoden des Gegners an, so untergräbt er nicht nur die Moral der eigenen Streitkräfte, sondern auch die ethischen Grundlagen seiner Gesellschaft. Heutige Konzepte der Aufstandsbekämpfung suggerieren zwar, dass ein akzeptabler Weg durch den richtigen Mix von offensiven, defensiven und stabilisierenden Maßnahmen möglich sei. Aktuelle und historische Erfahrungen belegen aber eher das Gegenteil. Dies hat weniger mit fehlendem gutem oder gar bösem Willen der Interventen zu tun als mit strukturellen Dilemmata bei der militärisch gestützten Stabilisierung von schwachen Staaten bei gleichzeitiger Aufstandsbekämpfung.

Der Faktor Zeit arbeitet ebenso für die Aufständischen wie die Schwierigkeiten externer Akteure, ihre vielfältigen zivilen und militärischen Aktivitäten angesichts unterschiedlicher Interessen und Herangehensweisen sowie eines sehr volatilen Umfeldes effektiv zu koordinieren. Die einen müssen nur etwas zerstören, die anderen wollen einen Staat oder gar eine andere Gesellschaft aufbauen. Die einen werden bleiben, die anderen werden auf jeden Fall das Land verlassen (müssen), spätestens wenn zu Hause die politische Unterstützung wegbricht oder wenn sie im Einsatzland als Besatzer wahrgenommen werden Die einen haben die Wahl des Zeitpunkts und der Mittel, die anderen müssen reagieren und dadurch unerwünschte Nebenfolgen von potenziell großer Tragweite in Kauf nehmen. Die Problematik wird nahezu unlösbar, wenn die Aufständischen über einen Rückzugsraum verfügen und über ausreichend Nachschub an Finanzen, Material und Kämpfern. Dann stellt sich die Alternative, entweder horizontal zu eskalieren, also die Militäroperationen auszuweiten, oder im Lande zu deeskalieren, also das externe Militärengagement abzubauen.

Die zentralen Faktoren, warum die heutige Strategie des Westens wahrscheinlich scheitern dürfte, sind kulturelle Differenz, begrenzte Ressourcen und die Unmöglichkeit, das Sozialverhalten einer ganzen Gesellschaft von außen grundlegend zu verändern. Die große Gefahr ist, dass Deutschland immer mehr in einen „schmutzigen“ Krieg hineinrutscht und dafür einen hohen Preis zahlen muss – politisch, personell, ethisch und finanziell. Folglich ist eine Strategie notwendig, die primär und zunehmend auf Stabilisierung mit zivilen Mitteln setzt und dabei folgende Aspekte beherzigt:

  • bescheidenere Ziele statt tief greifende gesellschaftliche Umstrukturierung;
  • Afghanisierung der Sicherheit statt internationale Truppenverstärkung;
  • dezentraler Governance-Ansatz statt Förderung des Zentralismus;
  • lokale Entwicklung statt Finanzierung der Korruption;
  • regionale Einbettung des Konflikts statt horizontaler Eskalation.

Letztlich muss die Frage beantwortet werden, ob und wie sich Deutschland bei der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan einbringen soll. Wird diese Form des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts abgelehnt, müsste ein kurzfristiger Abbau des militärischen Engagements die Folge sein. Soll der Militäreinsatz mittel- oder gar längerfristig fortgesetzt werden, so müssten sehr gute politische Gründe im Sinne überzeugender und überprüfbarer strategischer Ziele angeführt werden, warum Deutschland die damit verbundenen hohen Kosten tragen sollte.

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Kontakt:

Dr. Hans-Georg Ehrhart, Oberst a.D. Roland Kaestner