Das Atomabkommen mit dem Iran: Wirksam? Stabilisierend? Historisch?

Nach einem 20-tägigen Verhandlungsmarathon einigten sich die Islamische Republik Iran und die Außenminister der UN-Vetomächte USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich sowie Deutschland und die Außenbeauftrage der Europäischen Union (E3/EU+3) in Wien auf ein Abkommen, das den seit 2003 schwelenden Nuklearkonflikt mit dem Iran beilegen soll und das allgemein schon jetzt als „historisch“ bezeichnet wird. Präsident Obama sagte „das Abkommen mache die Welt sicherer“, Außenminister Steinmeier sprach von „einem historischen Tag für alle, die sich eine friedliche Konfliktbeilegung wünschen“ und Präsident Rohani wertete die Einigung als „Ende einer feindseligen Politik“ gegenüber dem Iran. 


Der mehr als 100 Seiten Text und fünf detaillierten Anhänge umfassende „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA) unterwirft die Nuklearanlagen und -programme des Iran in den nächsten 10 bis 15 Jahren weitgehenden Einschränkungen sowie strikten Kontrollen durch die IAEA. Im Gegenzug werden die Wirtschafts- und Finanzsanktionen schrittweise aufgehoben. Das Abkommen bringt seit 2003 mit Unterbrechungen laufende zwischenstaatlich Verhandlungen sowie vielfältige Track-Two-Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen zu einem ausgewogenen und tragfähigen Abschluss.

 

Zentral sind insbesondere folgende Abmachungen:

 

(a)
Die beiden möglichen Wege zur Atombombe, Urananreicherung und der Plutoniumpfad, werden durch das Abkommen beschränkt bzw. blockiert, indem:

  • die Gesamtzahl der Zentrifugen in Natanz von ca. 20.000 auf 6.100 Zentrifugen des IR-1 Typs beschränkt wird. Die Zahl der operativen Zentrifugen wird für zehn Jahre von 10.000 auf 5.060 halbiert. Die Forschung und Entwicklung (F&E) von fortgeschrittenen Zentrifugen wird für 13 Jahre stark begrenzt,
  • in der unterirdischen Anlage in Fordow 1.000 Zentrifugen für medizinische Forschungszwecke zugelassen werden, was einer Halbierung entspricht, für medizinische Zwecke dürfen Isotope produziert werden,
  • das Inventar an angereichertem Uran im Iran von ca. 12 Tonnen um fast 97% auf 300 Kilogramm Uran mit dem Anreicherungsgrad 3.67% für 15 Jahre beschränkt wird,
  • der Reaktor in Arak mit Unterstützung Chinas konvertiert wird, sodass er kein waffenfähiges Plutonium produzieren kann. Iran verpflichtet sich, keine weiteren Schwerwasserreaktoren zu bauen und verzichtet zusätzlich auf die Wiederaufarbeitung von Plutonium.

 

(b)
Die immer wieder erhobenen Vorwürfe in Bezug auf ein bereits betriebenes Nuklearprogramm mit militärischer Dimension sollen in Zusammenarbeit mit der IAEA innerhalb dieses Jahres geklärt werden und durch den Generalsekretär der IAEA abschließend in einer Resolution für den „Board of Governors“ vorgelegt werden. Dies bezieht sich auch auf die umstrittene Anlage in Parchin, die Ayatollah Chamenei vor Kurzem noch als „sakrosankt“ angesehen hatte.

 

(c)
Der Iran implementiert das Zusatzprotokoll der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Das Abkommen sieht ein mehrschichtiges internationales Verifikationsprogramm vor, das die Vertragseinhaltung überwacht und sämtliche Aspekte der Brennstoffversorgung und des Brennstoffzyklus durch Anlagen- und Materialinspektionen überprüfen kann. Einige Anlagen sollen die nächsten 20 (Zentrifugenproduktion) bis 25 Jahre (Uranminen/-mühlen) permanent kontrolliert werden können. Die IAEA wird dauerhaft im Iran präsent sein und erhält auf der Grundlage des Zusatzprotokolls Zugang auch zu notifizierten, nichtnuklearen Anlagen wie z.B. die Zentrifugenfertigung. Inspekteure haben unmittelbaren Zugang zu jeder Anlage, wenn es Verdachtsmomente für Nuklearaktivitäten gibt.

 

(d)
Eine speziell eingerichtete „Gemeinsame Kommission“, der neben den sieben Vertragsparteien auch die IAEA angehört, soll Konflikte innerhalb von 35 Tagen klären.


Bisher vorliegende Analysen der nun ausgehandelten Details des Abkommens kommen durchweg zu dem Ergebnis, dass das Abkommen größtmögliche Sicherheit schafft, dass die Pfade zum Bau einer Atombombe blockiert und die Möglichkeiten des Iran für ein künftiges, heimliches Nuklearprogramm minimiert werden. Die Kritik von Israels Präsident Netanjahu, der von einem „historischen Fehler“ sprach, sowie die bei konservativen Politikern in den USA und auch in einigen Staaten der Region, so in Saudi-Arabien und den Golfstaaten, verbreitete Skepsis lässt sich mit dem Weiterbestehen einer nuklearen Gefahr durch den Iran nicht begründen – diese Gefahr wird mit der Umsetzung des Abkommens deutlich kleiner. Die Ablehnung dürfte eher mit der Erwartung – bzw. Befürchtung aus der Sicht der Gegner des Iran – verbunden sein, dass der Iran durch das Abkommen sowohl wirtschaftlich als auch politisch gestärkt wird. Die Kritiker setzen ihre Hoffnung, das Abkommen stoppen zu können, auf den US-Kongress. US-Präsident Obama hat zwar erklärt, dass er bei einer Ablehnung durch den US-Kongress sein Veto einlegen würde, aber dieses könnte von einer Zweidrittelmehrheit des Kongresses überstimmt werden. Diese erscheint allerdings unwahrscheinlich, da die Republikaner nur über eine einfache Mehrheit verfügen.

 

Im Gegenzug zu den Maßnahmen, die der Iran ergreifen muss, verpflichten sich die anderen Vertragsparteien zur schrittweisen Aufhebung gegen den Iran verhängter Sanktionen. Dabei machen die westlichen Staaten durchaus gewichtige Vorleistungen, indem eine Reihe von Sanktionen unmittelbar nach Inkrafttreten des Abkommens aufgehoben wird. Das betrifft insbesondere die Sanktionen der EU. Denn zahlreiche US-Sanktionen werden von dem Abkommen nicht tangiert, da sie bereits vor dem Bekanntwerden des iranischen Atomprogramms verhängt worden waren. Andererseits war es gerade das Einschwenken der EU ab 2012 auf sehr harte Wirtschafts- und Finanzsanktionen, einschließlich eines Ölembargos, das den Iran hart getroffen hat. Auch die weitgehende Aufhebung der VN-Sanktionen, die bereits im VN-Sicherheitsrats beschlossen wurde, dürfte zu einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erholung des Iran beitragen. Allerdings beinhaltet das Abkommen und die auf ihm beruhende Resolution 2231 des VN-Sicherheitsrates auch die Möglichkeit, die Sanktionen rasch wieder einzuführen. Die Entscheidungshoheit darüber haben sich die westlichen Staaten vorbehalten unter anderem, indem für Entscheidungen der Gemeinsamen Kommission, die über die vertragsgemäße Umsetzung des Abkommens wachen soll, eine Mehrheit von fünf Stimmen ausreichend ist. Die USA; Frankreich, Großbritannien, Deutschland und die EU verfügen über diese Mehrheit. Auch die Sicherheitsratsresolution 2231 ist so gestaltet, dass eine automatische Wiederaufnahme der VN-Sanktionen erfolgen kann, sollte eine der Vertragsparteien sich nicht davon abbringen lassen, dass das Abkommen nicht vertragsgemäß umgesetzt wird.

 

Sollten die Ziele des Abkommens erfolgreich umgesetzt werden, wäre dies nach dem verlustreichen Krieg um den Irak, der letztlich um vermutete Massenvernichtungswaffen (MVW) geführt wurde, und den steten Drohungen, das iranische Nuklearprogramm durch einen militärischen Angriff zu beenden, ein großer Erfolg für jahrzehntelange, geduldige und koordinierte Diplomatie mit Wirkungen über das Verhältnis zwischen dem Iran und dem Westen deutlich hinaus. Damit wäre dann das schon jetzt dem Abkommen angeheftete Etikett „historisch“ tatsächlich gerechtfertigt.

 

Die Stabilität in der Region des Nahen Ostens könnte von einer erfolgreichen Umsetzung des Abkommens profitieren, da die Gründe für eine neue Aufrüstung der Nachbarstaaten geringer werden. Die umfassenden Verifikationsarrangements könnten ein Modell für mehr Vertrauensbildung in der Region werden, um das Ziel einer MVW-freien Zone im Mittleren Osten zu erreichen. Die beschlossene Raketenabwehr der NATO verliert zudem ihr treibendes Argument, nämlich die iranische Nuklearbedrohung. Russland und die USA, aber auch die EU und China haben gemeinsam eine lange und gefährliche Nuklearkrise entschärft und künftige Wege zur Proliferationsbekämpfung und zur globalen Sicherheit aufgezeigt. Dies bedeutet längerfristig auch eine Stärkung des Nichtverbreitungsregimes, das durch die gescheiterte Überprüfungskonferenz im Mai 2015 einen schweren Rückschlag erlitten hatte. In Bezug auf das schwer angeschlagene Verhältnis zwischen den USA und Russland wurde deutlich, dass beide Regierungen wieder konstruktiv zusammenarbeiten können.