Das Vermächtnis Baudissins – Friedensforschung und Bundeswehr: In welchem Verhältnis stehen sie zueinander?

Prof. Frank Reininghaus

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Baudissin – dieser Name schwingt noch immer mit, wenn die Gründung und die ersten gut ein Dutzend Jahre des IFSH betrachtet werden.

Wer war Wolf Graf von Baudissin, oder besser – mit vollem Titel – Generalleutnant a.D. Prof. Wolf Stefan Traugott Graf von Baudissin? In einem Nachruf wird er als „konzentriert und konziliant, diskussionsfreudig und praxisbezogen ohne jede theoretische Verbohrtheit“ beschrieben. Er war ein Mann mit vielen Facetten: Landwirt und Offizier, Aristokrat und Demokrat, General und Friedensforscher. Wolf Graf von Baudissin wird als großer Reformer in die Miltärgeschichte eingehen. Sein Name wird in einem Zug mit Scharnhorst und Gneisenau genannt, anderen Offizieren, die ebenfalls maßgeblich daran mitgewirkt haben, dass die Bundeswehr auf demokratischen Werten basiert.  

Nach kurzem Militärdienst als Fahnenjunker und Wiedereintritt in den aktiven Militärdienst 1930 wurde von Baudissin 1941, im dritten Kriegsjahr, auf Wunsch von Feldmarschall Rommel in den Generalstab des Afrikakorps versetzt. Er geriet dort in Kriegsgefangenschaft und wurde 1947 entlassen, vier Jahre später übernahm er eine Aufgabe im Amt Blank, dem späteren Verteidigungsministerium. Baudissin wurde 1956 als Oberst in die Bundeswehr übernommen, verband als Leiter des Referates „Innere Führung“ seinen Namen mit der Neukonzeption des sogenannten „Staatsbürgers in Uniform“.

1961 wurde Baudissin Stellvertretender Chef des Generalstabes Europa-Mitte der NATO, danach Leiter des NATO Defence College in Paris. Die letzten zwei Jahre vor seinem Ruhestand (1965-1967) verbrachte er als Drei-Sterne-General beim NATO-Oberkommando Europa.

Wenige Jahre nach seiner Pensionierung ermutigte Baudissin eine Gruppe von acht Offizieren der Heeresoffizierschule II, im März 1970 die von ihnen erstellten Thesen zu veröffentlichen. Darin forderten sie einen so wörtlich „von traditionalistischen Fesseln befreiten Offizierstyp“. Zur damaligen Zeit war das ein radikaler Anstoß, die Bundeswehr liberaler zu gestalten. Diese Gruppe ging als „Leutnante 70“ in die Geschichte der Bundeswehr ein.

Aus den Anstößen Baudissins, der Gruppe der „Leutnante 70“ und vieler weiterer ungenannter Soldaten entstand und entwickelte sich die heutige Version der Zentralen Dienstvorschrift der Bundeswehr. Sie stellt klar, dass durch die Innere Führung die Werte und Normen des Grundgesetzes in der Bundeswehr umgesetzt werden sollen. „[D]ie Prinzipien von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, so heißt es weiter in der Dienstvorschrift, würden somit in den Streitkräften abgebildet. Der militärischen Leistungsfähigkeit stünden auf der anderen Seite „ein Höchstmaß an Freiheit und Rechten“ für die Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung gegenüber. Die Grundsätze der Inneren Führung beruhen also auf bestimmten ethischen, rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Grundlagen.

Das Konzept der Inneren Führung hebt somit ab auf die dem Soldatenberuf innewohnenden Einschränkungen einzelner Grundrechte, betont gleichzeitig jedoch auch auf die Grenzen für Befehl und Gehorsam. Denn ein Befehl, dessen Ausführung eine Straftat darstellen oder die Würde des Menschen verletzen würde, muss nicht ausgeführt werden. Dies steht im Gegensatz zum oftmals zitierten „Kadavergehorsam“ während des Wilhelminischen Kaiserreichs und vor allem während des Dritten Reichs. Mit dem Konzept der Inneren Führung sollte der Zusammenhalt unter Kameraden weiterhin gefestigt werden. Gleichwohl war und ist das Ziel, „Gehorsam aus Einsicht“ in den vorliegenden Befehl zu erreichen.

Der Grundsatz des „Staatsbürgers in Uniform“ wird noch heute in der Ausbildung aller Soldatinnen und Soldaten, insbesondere der Offiziere, betont,  um die Entstehung eines „Staates im Staate“ zu vermeiden, wie es ihn im Dritten Reich und in der Weimarer Republik gegeben hatte.   

Wie stehen nun die von Baudissin initiierte „Innere Führung“ und das Konzept des „Staatsbürgers in Uniform“, die Friedensforschung des Jahres 2020 und die Bundeswehr zueinander?

Festzuhalten ist, dass die Streitkräfte Deutschlands sich in der Zeit von 1955 bis heute grundlegend gewandelt haben und der Friedensforschung deutlich offener gegenüber stehen als vor allem in den ersten zweieinhalb Jahrzehnten ihres Bestehens, die noch vom Kalten Krieg und der Ost-West-Konfrontation geprägt waren. Friedensforschung wird heute in der Bundeswehr als selbstverständlich angesehen, das Spektrum des Soldatenberufes hat sich um ein Vielfaches verbreitert. Dies zeigt sich auch in einem Zitat des ehemaligen stellvertretenden wissenschaftlichen Direktors des IFSH, Professor Dr. Hans Joachim Gießmann: „Streitkräfte sind in erster Linie zum Gelingen eines Waffeneinsatzes berufen, auch wenn ihnen politisch und gesellschaftlich zumeist die Aufgabe übertragen ist, genau dies nicht zu tun, sondern Kriege zu verhüten und den Frieden zu fördern.“