In Deutschland wird über die Absicherung eines möglichen Friedensabkommens in der Ukraine auch mit Beteilung der Bundeswehr diskutiert. Die Debatte konzentriert sich dabei auf Fragen, wie ein Friedensabkommen umgesetzt werden könnte: Würden die USA europäische Truppen unterstützen? Wie könnte Europa eine kampffähige und große Mission (z.B. 150.000 Soldat:innen) aufstellen? Und würde Putin einer Friedenstruppe zustimmen?
Diese Fragen lenken aber vom Hauptproblem ab: der glaubwürdigen Abschreckung Russlands. Abschreckung im weiteren Sinne bedeutet, dass Russland die Ukraine nicht weiter angreift; im engeren Sinne, dass Russland die Friedenstruppe nicht angreift. Aus zwei Gründen dürfte Russland trotz einer sehr robusten Truppe ein Friedensabkommen verletzen.
Warum russische Angriffe wahrscheinlich wären
Der erste Grund ist der Imperialismus Putins und seiner siloviki-Entourage (Vertreter der Geheimdienste und anderer bewaffneter Kräfte). Diese akzeptieren die Ukraine nicht als unabhängigen Staat und Nation. Ein Waffenstillstand oder sogar ein Friedensabkommen wären so einzig Teil des üblichen russischen Verhandlungstheaters, also vorzugeben, Teil der Lösung eines Problems zu sein, das Russland erst geschaffen hat und gar nicht lösen will. Wenn auch nicht territorial, so will Russland die gesamte Ukraine zumindest politisch kontrollieren. Internationale Truppen wären dabei aus russischer Sicht ein Hemmnis und damit auch ein mögliches Angriffsziel.
Zweitens besteht ein hohes Risiko, dass Russland ein Friedensabkommen verletzt, weil der Kreml risikobereiter als westeuropäische Staaten ist und um die Risikoaversion letzterer weiß. Demokratien sind bereit, eigene Opfer in Kauf zu nehmen, allerdings eher dann, wenn es um das eigene Überleben geht („wars of necessity“) als in freiwilligen Einsätzen („wars of choice“). Dass für Putin russische Leben nicht zählen, zeigt das militärische Vorgehen Russlands in der Ukraine täglich. Und: Durch seine häufigen Drohungen, auch Atomwaffen einzusetzen, zeigt der russische Staatschef, dass er auf Eskalationsdominanz setzt.
Szenarien
Das Risiko ist also hoch, dass Russland eine internationale Friedenstruppe angreift. Was könnte geschehen, wenn Soldat:innen aus NATO-Staaten getötet und verwundet werden? Ein Szenario wäre, dass westliche Staaten aus Angst vor einer Eskalation nicht militärisch antworten oder ihre Truppen zurückziehen. Dies würde Russland den weiteren Vormarsch in der Ukraine ermöglichen und die NATO auch für den Schutz des Bündnisgebietes unglaubwürdig machen.
Ein weiteres Szenario ist eine militärische Antwort, also Gefechte zwischen russischen Truppen und Truppen aus NATO-Staaten, wodurch ein NATO-Artikel 5-Fall entstehen könnte. Dies birgt ein hohes Risiko einer militärischen Eskalation mit der Atommacht Russland.
Die Stationierung von Truppen aus NATO-Staaten in der Westukraine ist auch keine Lösung. Sie macht Angriffe zwar schwieriger, mittels Drohnen, Raketen oder Spezialoperationen, aber nicht unmöglich und kommuniziert von Beginn an die Scheu vor einer militärischen Auseinandersetzung mit Russland.
Gefährliche Analogien
In der Diskussion über Sicherheitsgarantien für die Ukraine werden immer wieder auch Vergleiche zu früheren Militäreinsätzen gezogen. Derartige Analogien sind aber problematisch, da es sich bei Russland heute um eine revisionistische Atommacht handelt.
Eine mögliche Analogie ist die Präsenz westalliierter Truppen in der Bundesrepublik während des Kalten Krieges. Allerdings wollte die Sowjetunion im Gegensatz zum heutigen Russland Grenzen zementieren. Auch war die Nähe gegnerischer Truppen sehr risikobehaftet, wie die Krise am Checkpoint Charlie 1961, als sich amerikanische und sowjetische Panzer gegenüber standen, zeigte. Andere Einsätze, bei denen eine robuste Truppe abschrecken sollte, richteten sich gegen Nicht-Atommächte. So sollte die Operation Desert Shield 1990 Saddam Hussein davon abhalten, nach Kuwait auch Saudi-Arabien anzugreifen. In Bosnien schreckte ab Ende 1995 die sehr robuste IFOR-Mission der NATO die bosnischen Serben und ihren Patron in Belgrad, Slobodan Milošević, davor ab, das Friedensabkommen von Dayton zu brechen.
Alternativen zu einer NATO-Schutztruppe in der Ukraine
Die Diskussion um eine internationale Friedenstruppe auch mit Beteiligung von Truppen aus NATO-Staaten ignoriert das hohe Risiko eines Krieges zwischen der NATO und Russland. Eine Alternative ist eine robuste VN-Mission aus nicht-NATO-Staaten einschließlich Chinas, da Russland seinen wichtigsten Unterstützer kaum angreifen dürfte. Allerdings ist es unrealistisch, dass Russland im VN-Sicherheitsrat zustimmt und dass China Truppen entsendet. Die beste Abschreckung wäre eine durch sehr viel mehr westliche Hilfe hochgerüstete Ukraine. Stachelschweine beeindrucken Putin mehr als Verträge.
Dr. habil. Cornelius Friesendorf ist Leiter des Zentrums für OSZE-Forschung (CORE) am IFSH.
Oberstleutnant i.G. Thilo Geiger ist Verbindungsoffizier und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFSH.