Frieden durch Integration – 60 Jahre Römische Verträge

Der 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957 markiert ein wichtiges Ereignis. Er erinnert uns an das Erreichte und mahnt uns an das noch zu Erreichende: die Wahrung von Frieden und Freiheit in Europa angesichts einer unsicheren Welt. Beides ist nicht selbstverständlich. Die Europäische Union, die 2012 den Friedensnobelpreis erhielt, ist selbst ein Kind des Krieges. Ihre Entstehung ist eng verbunden mit der „deutschen Frage“ und ihren Implikationen für die europäische Sicherheit und die europäische Friedensordnung. Im Kern geht es dabei um die Rolle Deutschlands in Europa und die Rolle Europas für Deutschland. Die Entstehung des Zweiten Deutschen Reiches erfolgte nach drei Kriegen Preußens gegen Dänemark 1864, Österreich 1866 und Frankreich 1870/71. Reichskanzler Bismarck propagierte zwar, dass Deutschland nun ein saturierter Staat sei, das europäische Mächtegleichgewicht wurde aber durch den neuen Machtfaktor in der Mitte Europas nachhaltig verändert. Insbesondere die politisch-ideologische Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich wirkte kriegstreibend. Das Modell eines multipolaren europäischen Systems mit wechselnden Allianzen erwies sich als instabil und scheiterte letztlich. Die beiden Weltkriege waren Ausdruck des Strebens, die deutsche Frage über die Beherrschung Europas durch Deutschland zu lösen – mit katastrophalen Folgen. Damit scheiterte auch das Modell des europäischen Friedens durch Hegemonie.

 

Die Lehre aus diesem Scheitern führte in den 1950er Jahren zu einem dritten Modell, das dem Leitgedanken „Frieden durch Integration“ folgte. Der Beginn des Ost-West-Konflikts und die Teilung Europas und Deutschlands begünstigten diese Entwicklung ebenso wie die tatkräftige Unterstützung durch die USA. Ein erster Schritt war die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951. Der Versuch, eine politische (Europäische Politische Gemeinschaft, EPG) und eine verteidigungspolitische Gemeinschaft (EVG) aufzubauen, scheiterte aber bald. Als Ersatz für die EVG trat die BRD dem geänderten Brüsseler Vertrag, auch Westeuropäische Union (WEU) genannt, und der NATO bei. Die WEU hatte die Funktion eines Sicherheitsbündnisses durch ihre eindeutige Beistandsverpflichtung, darüber hinaus beschränkte sie die Rüstung der Bundesrepublik. Die NATO war und ist der eigentliche Garant europäischer Sicherheit. Ihr erster Generalsekretär, Hastings Ismay, beschrieb ihre Rolle mit den Worten: „to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“.

 

Die europäische Einigung verlief fortan durch sektorale Integration im nicht-militärischen Bereich. Die nächste Etappe erfolgte mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge, welche die Europäische Atomgemeinschaft und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ins Leben riefen. In der Präambel des EWG-Vertrages heißt es unter anderem, dass die Mitgliedstaaten entschlossen sind, den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu sichern und „durch diesen Zusammenschluss ihrer Wirtschaftskräfte Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen“. Die politische Dimension der europäischen Zusammenarbeit wurde erst ab den 1970er Jahren einbezogen. Vor dem Hintergrund der Vereinigung von BRD und DDR kam es Anfang der 1990er Jahre mit der Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags zur Bildung der Europäischen Union. Der Vertrag von Lissabon (2009) ist der vorläufige Endpunkt eines friedlichen Integrationsprozesses souveräner Staaten, der weltweit beispiellos ist. In der Wirtschafts- und Währungspolitik haben sich die Mitgliedstaaten integriert, d.h. sie haben Kompetenzen an supranationale Institutionen abgegeben. In Fragen der inneren und äußeren Sicherheit kooperieren sie.

 

Die deutsch-französische Freundschaft und die EU gehören zum Kernbestand der europäischen Friedensordnung. Jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 EU-Vertrag genannten Werte wie etwa Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit achtet, kann Mitglied der Union werden. Die EU-Mitglieder haben sich in einer Union souveräner Staaten zusammengeschlossen, weil sie diese gemeinsamen Werte teilen und Vorteile von der Mitgliedschaft haben. Der Brexit und die in manchen Ländern grassierende Ablehnung der EU machen aber deutlich, dass die Kritiker ihren wirtschaftlichen Nutzen und ihren politischen Zweck nicht mehr so sehen. Populisten in einigen Mitgliedstaaten fordern den Austritt und hegen nationale Träume, während vermeintlich „starke Männer“ außerhalb der Union sich lieber bilateral mit einzelnen Regierungen auseinandersetzen oder sich gar den Zerfall der Union wünschen. Wohlstand, Frieden und Sicherheit in Europa leisten sie damit einen Bärendienst.

 

Natürlich hat die EU noch viele Mängel. Sie muss sozialer, demokratischer und handlungsfähiger werden. Jean Monnet, einer der Gründerväter der EU, hat einmal gesagt, dass, wenn er den europäischen Integrationsprozess noch einmal von Neuem beginnen könnte, er mit der Kultur anfangen würde. Ob wir damit besser gefahren wären, kann keiner sagen. Eine Neugründung der EU steht aber auch nicht auf der Tagesordnung. Vielmehr gilt es einen Zerfall der Union zu verhindern, ihren kritischen Zustand zu überwinden und sie schrittweise zu reformieren. Wenn es richtig ist, dass sowohl ein europäisches Mächtekonzert als auch ein deutsches Europa potenziell friedensgefährdend sind, dann bleibt der Weg der Wohlstands- und Friedenswahrung durch europäische Integration und Kooperation die beste Option. Daran sollte uns der 60. Jahrestag der Römischen Verträge erinnern.