Können wir von Dorfältesten etwas über Friedensaufbau lernen?

Dr. Anna Kreikemeyer sprach über Friedensförderung „von unten“ in der beliebten Veranstaltungsreihe HADLEY'S Abendsalon

Dr. Anna Kreikemeyer berichtete vor vollem Haus über ihre Forschung zu Frieden "von unten". (c) HADLEY'S

Rette sich, wer kann. Wir alle haben die dramatischen Bilder des westlichen Truppenabzugs aus Afghanistan noch vor Augen. Im August 2021 endete der größte, teuerste und opferreichste Kriseneinsatz der westlichen Staatengemeinschaft und der NATO in einem beispiellosen Desaster. 

Gerade angesichts der gescheiterten internationalen Friedenseinsätze in Afghanistan oder Mali betont die Friedensforschung schon seit vielen Jahren die Bedeutung der lokalen Bevölkerung für den Friedensaufbau. Noch fehlt jedoch konkretes Wissen darüber, wie Streitschlichtung vor Ort genau aussieht, und – aus westlicher Sicht betrachtet – fehlt auch oft das Verständnis für Weltanschauungen in nicht-westlichen Regionen. IFSH-Forscherin Dr. Anna Kreikemeyer möchte solche Wissenslücken schließen. Ihr Forschungsprojekt „Lokaler Frieden in Zentraleurasien“ widmet sich den Möglichkeiten und Grenzen des Friedensaufbaus „von unten“, speziell im Kaukasus und Zentralasien. Am 6. November sprach Dr. Anna Kreikemeyer im Abendsalon der Hamburger Bar HADLEY’S über die ersten Feldforschungen ihres wissenschaftlichen Teams in Kirgisistan und Georgien und die bisherigen Erkenntnisse.

Lokale Friedenspraktiken für internationale Friedenseinsätze nutzen

Lokale Gemeinschaften, in denen oft angesehene Dorfälteste, Geistliche, aber auch respektierte ältere Frauen das Sagen haben, sind nicht per se friedlich, berichtete Anna Kreikemeyer. Vielerorts seien Menschen aber in der Lage, mit alltäglichen und örtlich begrenzten Spannungen umzugehen. Seien es Nachbarschaftsstreitigkeiten um Weideflächen, Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen oder ein Konflikt rund um den Bau eines Staudamms - in vielen Gemeinden trügen Einzelpersonen, informelle Gruppen oder selbstorganisierte Vereinigungen zum Friedensaufbau „von unten“ bei. Dabei orientieren sie sich an den für ihre Gemeinschaften typischen Vorstellungen von Gemeinschaft, Autorität, Gewohnheitsrecht und Geschlechternormen, so Anna Kreikemeyer. Wenn in solchen Regionen internationale Friedenseinsätze wirksam sein sollen, rät Kreikemeyer, die lokalen Gemeinden besser zu verstehen und sie frühzeitig auf Augenhöhe in Friedensbemühungen einzubeziehen. Es müsse auf beiden Seiten transparent gemacht und ausgehandelt werden, nach welchen (bürokratischen) Regeln, (wirtschaftlichen) Zwängen und (kulturellen) Überzeugungen die jeweilige Partei handele. Nur so könne eine verlässliche, nachhaltige Vertrauensbasis aufgebaut werden, die wiederum die Chance auf Frieden erhöhe. 

Nächster Salon im Dezember: Russlands Demontage der europäischen Zusammenarbeit

Am 4. Dezember ist der Leiter des OSZE-Forschungszentrums am IFSH Dr. habil. Cornelius Friesendorf zu Gast im HADLEY’S Abendsalon. Er wird zeigen, wie Russland die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) demontiert und wie westliche Diplomat:innen am Wiener OSZE-Sitz auf russische Taktiken antworten.