Der Begriff „Radikalisierung“ hat sich inzwischen in der öffentlichen Diskussion als Leitbegriff etabliert, um die Hintergründe des „hausgemachten Terrorismus“ in liberalen Demokratien zu beschreiben. Radikalisierung ist aber nicht nur ein empirisch beobachtbares Phänomen, sondern auch ein politisches Konzept, das von konkreten Akteuren vorangetrieben wurde und unsere Sichtweise und Reaktion auf die damit verbundenen Phänomene prägt.
In seinem in der Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung erschienenen Artikel rekonstruiert Hendrik Hegemann Radikalisierung daher als eigenständiges politisches Narrativ und analysiert dazu offizielle Strategiepapiere aus dreizehn westlichen Staaten. Der Beitrag zeichnet nach, wie sich Radikalisierung als politische Antwort auf die Frage entwickelt hat, warum zuvor weitgehend unauffällige, oftmals gut integrierte Menschen zu Gewalt gegen die scheinbar funktionierenden demokratischen Gesellschaften griffen, in denen die Mehrheit von ihnen aufgewachsen ist oder geboren wurde. Hendrik Hegemann argumentiert, dass dieses Narrativ vor allem zwei zentrale Funktionen erfüllt: Erstens ermöglicht es die Aufrechterhaltung politischer Handlungsfähigkeit im Angesicht schwer verständlicher und komplexer Herausforderungen und überführt diese in bearbeitbare Probleme. Zweitens dient es der liberalen Selbstvergewisserung und der Bestätigung einer als bedroht wahrgenommenen kollektiven Identität in vermeintlich „unsicheren Zeiten“.
Hendrik Hegemann. 2019. Die Politik der "Radikalisierung": Ein politisches Narrativ zwischen Komplexitätsreduzierung und Selbstvergewisserung. Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung 8 (1): 31-60.