Neue S+F-Ausgabe: Weltinnenpolitik und Vereinte Nationen in der Krise

Dr. Patricia Schneider

Carl Friedrich von Weizsäckers Idee eines Weltstaates ist in einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Außen- und Innenpolitik zunehmend verschwimmen, aktueller denn je. Als der Philosoph, Naturwissenschaftler und Friedensforscher Weizsäcker den Begriff 1963 während einer Rede prägte, hatte er das Ideal einer internationalen Staatengemeinschaft vor Auge, einer Staatengemeinschaft, die existentielle globale Probleme gemeinsam löst – auf Grundlage gemeinsamer Werte und Regeln wie etwa der Gewaltfreiheit und der Kooperation. Anfang der 1960er Jahr als Weizsäckers Idee geboren wurde, war das atomare Westrüsten zwischen Ost und West die globale existentielle Bedrohung. Heute sind es Probleme wie der Klimawandel oder die weltweiten Flüchtlingsströme, die ein gemeinsames Handeln der Weltgemeinschaft erfordern.  Die Vereinten Nationen kommen Weizsäckers Ideal eines „Weltstaats“ am nächsten, doch die internationale Organisation ist in einer Krise und damit rückt damit den Wunsch nach einer „Weltinnenpolitik“ in weite Ferne. Hier knüpft der Themenschwerpunkt des aktuellen S+F-Heftes an, das diesmal von Sabine Jaberg herausgegeben wird.

Sabine Jaberg spürt in ihrem ersten Beitrag dem Konzept der Weizsäcker’schen Weltinnenpolitik nach. Sie unterscheidet es kategorial von jenem der global governance, ehe sie es mit dem politischen Programm der UNO-Charta abgleicht. In ihrem zweiten Beitrag begibt sich die Autorin innerhalb des Weltinnenpolitik-Konzepts auf friedensphilosophische Spurensuche und wird in Hobbes, Kant und ansatzweise Elias fündig. 

Nach Manuela Scheuermann teilen sich die Vereinten Nationen mehr als fünfzig Jahre nach Weizsäckers Rede ihre weltinnenpolitische Verantwortung für den Frieden auch mit Regionalorganisationen. So erhebe die Europäische Union einen globalen Gestaltungsanspruch, und die Afrikanische Union sei im Falle gravierendster Menschenrechtsverletzungen auch ohne Mandat des Sicherheitsrats zu militärischem Eingreifen bereit. 

Cordula Meyer-Mahnkopf beschäftigt sich hingegen mit möglichen Antworten auf die Gräueltaten der burmesischen Streitkräfte an den Rohingya. Dabei rückt sie die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in den Mittelpunkt, den sie als integralen judikativen Bestandteil einer ambitionierten Weltinnenpolitik begreift, die es in Richtung einer Global Citizenship weiterzutreiben gelte.

Lisa Heemann und Patrick Rosenow sehen den Multilateralismus und die Vereinten Nationen zwar nicht in einer wirklichen Krise, aber deutlich unter Druck. Sie nehmen Deutschland, das derzeit dem Sicherheitsrat angehört, in die Pflicht, die aktuelle Lage auch als Chance zu begreifen. 

Als Antwort auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel entwerfen Jo Leinen und Andreas Bummel das Ideal einer aus den Vereinten Nationen erwachsenden Weltrepublik. Besonderes Augenmerk richten die Autoren auf die Weltlegislative, die aus einem Parlament der Bürger und Bürgerinnen sowie einer Staatenkammer bestehen würde.

Aus Timo Lowingers dekolonialer Perspektive verwischen die Grenzen zwischen Weltinnenpolitik und global governance. Beiden Theorien wirft der Autor die Verallgemeinerung westlicher Normen sowie die Ausblendung der Herrschaftsfrage vor. Gleichwohl lehnt er die Ansätze nicht rundweg ab, sondern er votiert am Beispiel Indiens dafür, sie stärker über den Widerstand zu entfalten. 

Alles in allem hat sich Weltinnenpolitik als eine theoretisch, analytisch wie handlungslogisch eigenständige Perspektive erwiesen, die mehr akademische Aufmerksamkeit und politisches Engagement verdient hätte – so das Fazit dieses Heftes.

Kontakt: Dr. Patricia Schneider, schneider@remove-this.ifsh.de.
Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.sicherheit-und-frieden.nomos.de/