Neue S+F-Ausgabe: Friedenslogik – Idee, Praxis, Kritik

Dr. Patricia Schneider

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die klare Trennung zwischen Frieden und Sicherheit verwischt. Politische Debatten in Deutschland über Frieden wurden zunehmend von Begriffen der Sicherheit dominiert. Vor allem das Konzept einer breiteren, umfassenden und vernetzten Sicherheit setzte sich durch. Die zivilen Friedensorganisationen reagierten darauf, indem sie ab 2010 ein eigenes Konzept entwickelten, das ihre Erfahrungen aufgriff und auf den Erkenntnissen der Friedenswissenschaft aufbaute. Dieses Konzept definiert Prinzipien und Handlungsdimensionen, die der Logik des Friedens entsprechen. Es ist geeignet, nicht nur die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen vor Ort auszurichten, sondern auch staatliches Handeln und politische Konzepte abzubilden. Verfechter*innen der Friedenslogik möchten verdeutlichen, dass Frieden und Sicherheit unterschiedlichen immanenten Mustern folgen, die als Logiken oder auch Grammatiken beschrieben werden können. Offensichtlich macht es doch einen theoretischen, analytischen und praxeologischen Unterschied, ob beispielsweise Flucht und Migration als sicherheitspolitische oder als friedenspolitische Herausforderungen konstruiert werden.

Diese von Sabine Jaberg herausgegebene Ausgabe von "Sicherheit und Frieden" möchte einen Beitrag zur Debatte über Friedenslogik leisten, besitzt der Ansatz doch das Potenzial, die beiden namensgebenden Begriffe der Zeitschrift in ihrer Eigenheit sowie ihrem komplizierten Zusammenspiel zu reflektieren.

Die ersten drei Aufsätze verdeutlichen Idee und Konzept der Friedenslogik. Christiane Lammers zeichnet nicht nur die Grundzüge, sondern auch die Genese des Ansatzes im Kontext der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung – einem zivilgesellschaftlichen Netzwerk – nach. Dabei wird Friedenslogik als zivilgesellschaftliche Reaktion auf die zunehmende Versicherheitlichung der deutschen Politik erkennbar. Hanne-Margret Birckenbach und Sabine Jaberg führen erstmals ihre unterschiedlichen Zugänge in einem gemeinsamen Beitrag über die heuristische Tiefendimension des Projekts zusammen. Während Jaberg sowohl mit der Hegel’schen Begriffslogik als auch der Begriffsgeschichte argumentiert, blickt Birckenbach auf die Verarbeitung globalisierter friedenspolitischer und friedenswissenschaftlicher Diskurse. Im Anschluss verdeutlicht Sabine Jaberg das Relevanzpotenzial des Ansatzes.

Sophia Abou El-Komboz schaut hingegen aus einer akademisch angeleiteten Praxis auf den Ansatz der Friedenslogik. Dessen fünf Prinzipien und Handlungsdimensionen differenziert sie im Sinne einer friedenslogischen kommunalen Integrationspolitik aus, die sich von der sicherheitslogischen Perspektive des Bundes auf das Thema Migration abhebt. Bei allen Schwierigkeiten stimmt es die Verfasserin optimistisch, dass sich friedenslogische Elemente zumindest in der kommunalen Praxis finden. So könnten Städte wie München Impulse für eine menschenrechtlich verantwortliche und proaktive Asyl- und Migrationspolitik auf Bundesebene setzen.

Die letzten drei Beiträge unterziehen den friedenslogischen Ansatzes einer kritischen Würdigung. Insbesondere nehmen sie die Abgrenzung der Friedenslogik zur Sicherheitslogik als zu dogmatisch bzw. zu dualistisch wahr. Daher betont Klaus Ebeling, dass aus der Anerkennung der Friedensnorm (bzw. ihrer Logik) keineswegs die Pflicht zur ausnahmslos vollumfänglichen Umsetzung folge. Vielmehr gelte es, die normativen Vorgaben in Kriterien einer Prozesstransformation zu übersetzen. Seinen Argumentationsgang konkretisiert er am Beispiel des Streits über nukleare Abschreckung.  Anknüpfend an die Tiefenpsychologie Fritz Riemanns justiert Susanne Luithlen das Verhältnis von Friedens- und Sicherheitslogik als unterschiedliche Formen der Angstbewältigung neu. Demnach steht der Sicherheitslogik, die Luithlen als Abwehrlogik reformuliert, eine Kapitulationslogik gegenüber. Zwischen ihnen nähme die Friedenslogik dann eine konstruktive Mittlerposition ein. Noch weiter und tiefer geht Wilfried Graf mit seiner Kritik. Er sieht das Problem sogar auf einer falschen Ebene verortet. Die entscheidende Differenz verlaufe nämlich nicht zwischen der Friedenslogik auf der einen und der Sicherheitslogik auf der anderen Seite, sondern zwischen den diversen Metatheorien, innerhalb derer beide konstruiert werden können.

Außerhalb des Themenschwerpunktes untersucht Cindy Marcela Melo Rincón die Beiträge indigener und afro-kolumbianischer Organisationen zum kolumbianischen Friedensprozess. Kobby Gomez-Mensah möchte die Frage beantworten, warum irreguläre Migranten aus Ghana und Nigeria nach einem ablehnenden Asylbescheid meist nicht nach Hause zurückkehren.

Kontakt zur Redaktion: Patricia Schneider, schneider@remove-this.ifsh.de. Weitere Informationen zum Heft finden Sie hier: https://www.sicherheit-und-frieden.nomos.de/