Projekt „Neue Seidenstraße“: Bericht empfiehlt OSZE-China-Kooperation

Die Hongkong-Zhuhai-Macau-Brücke ist die längste Seebrücke der Welt und ein Teil des Infrastrukturprojektes "Neue Seidenstraße". (c) AFP

 

Seit ihrer Gründung im Jahr 2013 hat sich die “Belt and Road Initiative (BRI)“ Chinas, auch bekannt unter dem Begriff "Projekt Neue Seidenstraße“, in ein weitreichendes, globales Handels- und Infrastrukturprojekt mit geopolitischen und geoökonomischen Folgen entwickelt.

Die chinesische Regierung steckt gewaltige Summen in die Errichtung wirtschaftlicher Korridore, die sich von China über Zentralasien nach Europa, den Nahen Osten, Afrika, Indien und Südostasien erstrecken. Pekings Investment ist darauf ausgerichtet, Eisenbahnnetze und Verkehrskorridore mit Häfen zu verbinden sowie Kraftwerke und Pipelines zu modernisieren.

Die Staaten profitieren zwar von den enormen chinesischen Investitionen in ihre Infrastrukturprojekte, oftmals verändern diese dort aber auch das soziale und politische Umfeld. Einzelne Projekte der Initiative wirken sich auch auf die Umwelt aus, und nicht selten werden sogar Folgen für das Militärwesen einzelner Staaten beobachtet.

Welche Folgen hat das größte Infrastrukurprojekt aller Zeiten für die OSZE?

Diese weitreichenden Konsequenzen wurden bereits vielfach analysiert. Es liegt jedoch bislang keine vollständige Beurteilung der Auswirkungen der “Belt and Road Initiative“ für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vor.

Ein neuer Bericht des OSZE Netzwerks von Think Tanks und Akademischen Institutionen, der vom Deutschen Auswärtigen Amt finanziert wurde, bemüht sich nun diese Lücke zu schließen.

Besonders auffallend ist, dass bereits mehr als die Hälfte der 57 OSZE-Teilnehmerstaaten mit China Absichtserklärungen über ihre Teilnahme an der “Belt and Road Initiative“ unterzeichnet haben. Zudem floss im Rahmen des Projekts “Neue Seidenstrasse“ chinesisches Kapital in Höhe von umgerechnet fast 94 Milliarden US-Dollar nach Zentralasien, in den Südkaukasus, nach Osteuropa sowie in die Länder des Westlichen Balkans.

„Die OSZE und ihre Teilnehmerstaaten können es sich nicht länger leisten, die Auswirkungen der Aktivitäten Chinas in der OSZE-Region zu ignorieren,“ sagt Stefan Wolff, Hauptverfasser des Berichts und Professor für Internationale Sicherheit an der Universität Birmingham. „Die Art und Weise, wie sich die OSZE dieser Herausforderung stellt, wird sicher ausschlaggebend für die Relevanz der Organisation in der Zukunft sein.“

Mit dem Ziel eine Debatte zu diesem Thema innerhalb der OSZE zu lancieren, präsentierte das OSZE Netzwerk von Think Tanks und Akademischen Institutionen den mehr als 100-seitigen Bericht und die darin enthaltenen Empfehlungen den OSZE-Teilnehmerstaaten, den OSZE-Partnerstaaten sowie einzelnen ausgewählten OSZE-Mitarbeiter*innen. Dieser virtuelle Launch Event am 19. April war mit 68 Teilnehmer*innen sehr gut besucht. Im Rahmen einer Q&A-Session konnten mehrere Fragen der Teilnehmer*innen beantwortet werden.

Empfehlungen für die OSZE-Teilnehmerstaaten

Einer der wichtigsten Punkte im Bericht empfiehlt der OSZE - unter der Leitung ihrer Generalsekretärin Helga Schmid - mögliche Szenarien für die künftigen Beziehungen mit China auszuarbeiten. Auf dieser Basis könne der OSZE-Vorsitz, dann mit Hilfe der Troika, also dem vorangegangenen, dem aktuellen und dem künftigen Vorsitzstaat, im Anschluss einen Konsens unter den OSZE-Staaten vorantreiben, so der Bericht.

Da China derzeit keinen offiziellen Status in der OSZE innehat, wird die formelle Integration Chinas in die OSZE-Strukturen im Bericht als besonders wichtig angesehen. „Die OSZE sollte eine strategische Vision entwickeln, die letztendlich darauf ausgerichtet ist, China in Zukunft einmal als OSZE-Partnerstaat aufzunehmen,“ so Wolff. „Alternativ könnte man auch überlegen, China eine Art Beobachterstatus in der Organisation zuzusprechen.“

Gemeinsame Interessen ermitteln und bei Sachthemen zusammenarbeiten

Der Bericht schlägt der OSZE zudem vor, in einem ersten Schritt gemeinsame Interessen auszuloten und mit China bei einzelnen Sachthemen eine Kooperation anzustreben. Laut dem Bericht würden sich dafür vor allem Themengebiete wie etwa der Kampf gegen die Korruption, das Management von Umweltschäden sowie die Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit anbieten.

Ein Fokus auf wirtschaftliche Kooperation (“Economic Connectivity“) könnte demnach auch einen Beitrag zu einem nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung nach der Corona-Pandemie leisten, vor allem durch die Stärkung der Resilienz von Wirtschaft, Gesellschaft und Institutionen.

Schließlich räumt der Bericht ein, dass es derzeit wohl kaum einen Spielraum für eine Zusammenarbeit mit China im Bereich der Menschenrechte gibt. Das Thema sollte dennoch „ganz oben auf der Tagesordnung der OSZE“ bleiben, sagt Wolff, vor allem vor dem Hintergrund des umfassenden Sicherheitsansatzes der Organisation.

Den Bericht "China's Belt and Road Initiative: Implications for the OSCE" können Sie hier lesen.