Syrien: Chemiewaffenabkommen für weitere Schritte in Richtung Frieden nutzen

Syrien: Chemiewaffenabkommen für weitere Schritte in Richtung Frieden nutzen

16.09.2013

Michael Brzoska

 

Das russisch-US-amerikanische Abkommen vom 14.September 2013 ist eine solide Grundlage für eine Abrüstung chemischer Waffen in Syrien und eröffnet Chancen für die Beförderung des politischen Prozesses zur Beendigung des Bürgerkriegs.

 

Der im Abkommen skizzierte Weg ist ambitioniert aber umsetzbar. Die syrische Führung dürfte die wichtigsten Informationen, die für eine Erklärung der Produktions- und Lagerstätten nach den Vorschriften der Chemiewaffenkonvention nötig sind, vorliegen haben oder rasch beschaffen können. (Dies gilt möglicherweise nicht für  Bestände an anmeldepflichtigen Chemikalien in Industriebetrieben, die mit der Herstellung von Chemiewaffen nichts zu tun haben. Diese Informationen sind aber nicht von derselben Bedeutung wie die über Chemiewaffen und Herstellungsanlagen.) Die Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OVCW) wird mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Zustimmung zum russisch-US-amerikanischen Plan geben. Sie wird dann allerdings vermutlich große Schwierigkeiten haben, eine hinreichende Zahl von Inspektoren zu stellen, um die syrische Erklärung zu verifizieren und die Chemiewaffen, z.B. durch Anbringen von Schlössern an Lagerräumen und die Installation von Überwachungskameras, unter ihre Kontrolle zu bringen. Insbesondere Russland und die USA, die in den letzten 15 Jahren in großem Umfang Chemiewaffen zerstört haben, verfügen aber über spezielle militärische Einheiten, die im Umgang mit diesen hochgefährlichen Stoffen Erfahrung haben. In geringerem Umfang gilt das auch für einige europäische Nato-Staaten, einschließlich Deutschlands. Inwieweit die syrische Regierung andere als OVCW-Experten akzeptiert und wie deren Verhältnis zur OVCW gestaltet werden kann, wird sich in Verhandlungen herausstellen. Der Abtransport der Chemiewaffen ins Ausland, über Landgrenzen oder per Luftfracht, ist ein hochgefährliches, aber in der Vergangenheit bereits erfolgreich durchgeführtes Unterfangen. Auch der Aufbau von Vernichtungsanlagen in Syrien kann aufgrund der in der jüngeren Zeit gemachten Erfahrungen, insbesondere in Russland und den USA, relativ rasch erfolgen. Aber eine Zerstörung aller Chemiewaffen in Syrien innerhalb der nächsten neun Monate, wie im russisch-US-amerikanischen Abkommen vorgesehen, ist sehr ambitioniert.

 

Ein großes Problem, das den Plan empfindlich in Frage stellen könnte, ist die Sicherheitslage in Syrien. Noch ist nicht klar, ob die syrische Regierung alle Chemiewaffenbestände unter ihrer Kontrolle hat. Die häufig unklaren und wechselnden Frontlinien im syrischen Bürgerkrieg lassen es als wenig wahrscheinlich erscheinen, dass die Inspektoren, auch wenn sie von Soldaten der Regierungsseite begleitet werden, ohne Gefahr für Leib und Leben ihrer Arbeit werden nachgehen können. Das aber wird eine Grundbedingung der OVCW sein müssen. Leider ist im Laufe der Verhandlungen in Genf der Gedanke, für die Phase der Verifizierung und Sicherung der Chemiewaffen einen Waffenstillstand in Syrien anzustreben, fallen gelassen worden. Verschiedene Rebellengruppen hatten deutlich gemacht, dass sie dazu nicht bereit sein würden. Da möglicherweise zumindest lokal begrenzte Waffenstillstände eine wichtige Bedingung für das Gelingen des Plans sind, sollten alle Staaten mit direktem oder indirektem Einfluss auf die bewaffnete Opposition ihren Druck auf die Rebellengruppen verstärken, zumindest diese bescheidenere Variante zuzulassen. Jede weitere Unterstützung der zur umfassenden Fortführung des Bürgerkriegs entschlossenen Rebellengruppen auszusetzen, kann Teil eines solchen Drucks sein.

 

Moskau und Washington sind zu einem Kompromiss gekommen, der Entgegenkommen von beiden Seiten signalisiert. Die russische Seite hat einen knappen Zeitplan akzeptiert. Sie hat auch ihre Bereitschaft zu einer Resolution des Sicherheitsrates erkennen lassen, die Strafmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta androht. Die US-amerikanische Seite wiederum hat sich damit zufrieden gegeben, dass die Resolution keinen Automatismus vorsieht (was Russland in der Veto-Position im Sicherheitsrat belässt) und verzichtet zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt darauf, die syrische Erklärung über ihre Bestände an Chemiewaffen infrage zu stellen. Vieles deutet darauf hin, dass der Abgleich der US-amerikanischen und russischen Informationen über Bestände und Lagerorte am Rande der Genfer Verhandlungen weitgehende Übereinstimmung erbracht hat. Trotzdem ist der US-amerikanische Verzicht darauf, durch Überprüfungen sicherzustellen, dass das syrische Regime keine Chemiewaffen heimlich zurückhält, ein wichtiges Zugeständnis.

 

Das russisch-US-amerikanische Übereinkommen signalisiert den gemeinsamen starken Wunsch, den syrischen Bürgerkrieg zu beenden. Die diplomatische Aufwertung Moskaus und des syrischen Regimes, die durch den russischen Vorschlag, das Agieren der syrischen Regierung und die Genfer Verhandlungen deutlich geworden ist, können den politischen Prozess zur Beendigung des Krieges sowohl erleichtern als auch erschweren.

 

Einerseits ist Russland jetzt wieder fest in diesen Prozess eingebunden und steht nicht mehr als Bremser und unbedingter Verteidiger syrischer Positionen da. Moskau hat größeren Spielraum für diplomatisches Handeln und kann damit auch die syrische Führung stärker unter Druck setzen.

 

Andererseits ist gleichzeitig aber auch deren diplomatischer Stellenwert, zumindest kurzfristig, gestiegen – die syrische Führung hat zeitweilig das Heft des Handelns in die Hand genommen und ist ein auch von den USA akzeptierter Akteur bei der Umsetzung des russisch-US-amerikanischen Plans. Das verschlechtert die Position der Opposition, die entsprechend wenig von ihm hält.

 

Eine erfolgreiche Implementierung der ersten Schritte des Abkommens wäre eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme, um die russisch-US-amerikanische Allianz zur Beendigung des Krieges in Syrien zu stärken. Diese wird notwendig sein, um den erforderlichen Druck auf die Kriegsparteien in Syrien und deren weitere Verbündete zu entfalten, zu einem Waffenstillstand und einer politischen Lösung zu kommen.

Kontakt: Michael Brzoska