Am 2. November 2010 verabschiedeten Frankreich und Großbritannien eine gemeinsame Erklärung über die künftige Zusammenarbeit im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich. Von den einen als Meilenstein in der bilateralen Kooperation und weiterer Schritt in Richtung einer europäischen Verteidigung gepriesen, sehen andere darin nur einen weiteren Versuch, aus der (finanziellen) Not eine Tugend zu machen. Hatte nicht der britische Premierminister Cameron im Oktober 2010 drastische Einsparungen im Verteidigungshaushalt angekündigt? Steht Frankreich nicht unter erheblichem Sparzwang? Es bewahrheitet sich also das alte Bonmot, dass der Finanzminister der beste Abrüster ist.
Aber was folgt daraus für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU?
Die Erklärung enthält zwei bemerkenswerte Aspekte. Zum einen versichern sich beide Staaten, die ja ansonsten die nationale Souveränität hochhalten, ihre verteidigungspolitische Kooperation durch wechselseitige Verflechtung voranbringen zu wollen. Dazu gehören gemeinsame Anlagen, etwa um die nuklearen Sprengköpfe zu überprüfen, die gemeinsame Nutzung von Flugzeugträgern, ein gemeinsamer Stab für eine Interventionsbrigade oder die Öffnung der abgeschotteten Rüstungsmärkte. Zum anderen wird das Projekt einer europäischen Verteidigung im Rahmen der GSVP – immerhin Schwerpunkt der französischer Ratspräsidentschaft 2008 und Konstante französischer Sicherheitspolitik – nicht einmal erwähnt.
Die nukleare Zusammenarbeit ist zwar schon lange im Gespräch, wird aber jetzt konkret. Weitere Schritte könnten folgen. Was das für die GSVP bedeutet bleibt offen. Eines wird – wohl mit Blick auf den deutschen Partner – aber klargestellt: Die nukleare Abschreckung ist für beide unverzichtbar und die Raketenabwehr ist ein Teil von ihr, kein Ersatz. Flugzeugträger mögen im 21. Jahrhundert zwar überflüssiger Rüstungsbarock sein, gleichwohl gelten sie in beiden Ländern noch immer als Ausweis globaler Interventionsfähigkeit. Um zumindest einen von ihnen verfügbar zu haben, müssen sich beide Staaten zusammentun. Nur so kann der Traum von der globalen Kräfteprojektion aufrechterhalten werden. Für das gemeinsame Interventionskommando gilt eine Binsenweisheit: Da nur ein single set of forces existiert, sollen die dazu gehörigen Kräfte im bilateralen, NATO-, EU- oder UN-Rahmen eingesetzt werden. Im Vordergrund steht hier eine verbesserte Interoperabilität, eine Angleichung der Einsatzdoktrin und der Einsatzausrüstung. Dazu passt, dass ein 10-Jahresplan für komplexe Waffensysteme aufgestellt werden soll mit dem Ziel, einen europäischen Großlieferanten aufzubauen und so die Rüstungswirtschaft zu konsolidieren.
Die Ausführungen zur NATO und EU sind mit je zwei Absätzen nicht nur quantitativ ausgewogen. Es wird gleich zweimal versichert, dass die Partner eine engere Zusammenarbeit beider Organisationen anstreben. Der Verweis auf die 2008 vom Europäischen Rat beschlossenen zivilen und militärischen Fähigkeitsziele weckt Erinnerungen an den britisch-französischen Gipfel von Saint Malo im Jahre 1998. Dieser gilt als Geburtsstunde der GSVP und stand ganz im Zeichen zu verbessernder Fähigkeiten für Kriseninterventionen. Im Unterschied zu damals ist dieses Mal nicht nur von militärischen, sondern auch von zivilen und militärisch-zivilen Fähigkeiten die Rede. Zweimal wird auch Russland erwähnt, einmal generell als dauerhafter Partner der NATO und dann als potenzieller Partner beim Aufbau einer Raketenabwehr.
Der von Deutschland ins Spiel gebrachte Vorschlag, Russland unter bestimmten Bedingungen an das Sicherheitspolitische Komitee der GSVP anzudocken wird nicht erwähnt.
Was nach Saint Malo nicht so richtig funktionieren wollte soll nun ernsthaft in Angriff genommen werden.Von einer engeren bilateralen Zusammenarbeit erhoffen sich die beiden ehemaligen Weltmächte greater value for money, also Synergieeffekte und damit verbundene Einsparungen. Der Rüstungsbarock und die Aufrechterhaltung des Atommachtstatus sind gerade nach der Weltfinanzkrise nicht mehr ohne Weiteres finanzierbar. Gleichwohl bekunden beide Staatschefs ihre Entschlossenheit, weiterhin als Führer in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung zu agieren. Diese Führungsrolle wird untermauert durch die Tatsache, dass Frankreich und Großbritannien bislang fünfzig Prozent der Verteidigungsausgaben der EU-27 und zwei Drittel der damit verbundenen Forschungskosten tragen. Es bleibt abzuwarten, ob es dabei bleibt.
Das Fehlen eines jeden GSVP-Bezugs lässt zwei Deutungen zu. Nach der einen steht es im Zusammenhang mit der Rückkehr Frankreichs in die Militärintegration der NATO. Das Bündnis hat seitdem für Paris einen höheren Stellenwert. Es sichert globalen Einfluss, insbe-sondere wenn die ehemaligen Antipoden gemeinsame Ziele verfolgen. Diese Entwicklung ist notwendig, da sich die GSVP nur mit der NATO und nicht gegen sie aufbauen lässt. Nach der anderen Deutung war es diplomatische Rücksichtnahme, die einen expliziten GSVP-Bezug verhinderte. Dieser hätte Premierminister Cameron möglicherweise Schwierigkeiten mit der eigenen europaskeptischen Partei eingehandelt.
Wahrscheinlich treffen beide Interpretationen zu. Die beschlossene langfristige Zusammenarbeit könnte sowohl die GSVP als auch die NATO stärken. Ihre eigentliche Antriebskraft liegt aber im Führungsanspruch beider Länder in Verteidigungsfragen und der Erkenntnis, dass die nationalen Mittel dafür nicht mehr reichen. Also begibt man sich auf den Weg der pragmatischen funktionalen Kooperation und Integration – ganz wie zu Zeiten Jean Monnets. Nur sollte seine Methode zu den Vereinigten Staaten von Europa führen. Der britisch-französische Pakt wird bestenfalls ein kleiner Schritt in Richtung einer „europäischen Armee“ sein, schlimmstenfalls eine Stufe bei der Herausbildung eines informellen Direktoriums für globale Intervention bestehend aus Paris, London und Washington.
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