Am 19.10.2012 wurde ach fast zwei Jahren Prozessdauer das Urteil im allgemein als „Hamburger Piratenprozess“ bekannten Verfahren gesprochen und langjährige Haftstrafen verhängt.
Der Prozess war erforderlich und gemäß den Umständen fair. Ob eine erneute Auslieferung von mutmaßlichen Piraten beantragt wird, darf angesichts des Aufwands, der Prozessdauer und der emotional aufgeladenen Debatten bezweifelt werden. Dennoch gilt: Der internationale Seeverkehr kann nur mit gemeinsamen Anstrengungen geschützt werden. Dies liegt im deutschen Interesse, da sonst auch unsere Versorgungskette gefährdet wäre. Vor allem müssen die Seeleute geschützt werden, ohne die die internationale Seefahrt nicht funktioniert. Den Mannschaften droht ein Schicksal, das von früheren Entführungen bekannt ist: Geiseln verbringen ein oft monate- oder gar jahrelanges Martyrium, bis das Lösegeld von meist mehreren Millionen US-Dollar ausgehandelt und übergeben wird. Die Seeleute haben jedoch kaum eine Lobby und stammen häufig selbst aus unterentwickelten Ländern. Wenn ein starker deutscher Bezug vorliegt (hier fuhr das Schiff unter deutscher Flagge und zwei deutsche Seeleute gehörten zur Besatzung), wären weitere Prozesse in Deutschland mangels Alternativen als ein Baustein einer Gesamtstrategie gegen Piraterie daher trotz aller Bedenken weiterhin sinnvoll, um einer Kultur der Straflosigkeit entgegenzutreten und der internationalen Verantwortung nachzukommen.
Der Prozess hat gezeigt, dass die deutsche Strafverfolgung in solchen Fällen vor einer Vielzahl von Herausforderungen steht, die nicht immer zufriedenstellend gelöst werden können. So kam beispielsweise sogar die Frage auf, ob Schmiergelder gezahlt werden dürften, um die Einreise eines Zeugen zu ermöglichen. Es ließ sich nicht komplett rekonstruieren, was sich Tausende Kilometer entfernt abgespielt hat. Außerdem waren die Angaben der Angeklagten schwer zu überprüfen. Daher ist der Ruf nach Alternativen verständlich. Man muss sich allerdings auch die sonst gängige Catch-and-Release-Praxis (Entwaffnung und sofortige Freilassung) vor Augen halten. Diese soll geschätzte 90 Prozent der auf See Aufgegriffenen betreffen, da selten Staaten dazu bereit sind, die mutmaßlichen Täter zu übernehmen und Strafverfolgung und -vollzug zu gewährleisten. Solange die lokalen und regionalen Kapazitäten zur Aburteilung von Piraten gering sind und den anzulegenden menschenrechtlichen Maßstäben nicht entsprechen, wenn Verdächtige an Behörden in der Region übergeben werden sollen, gibt es derzeit keine praktikableren Alternativen als vor den Gerichten der Nationen zu verhandeln, deren Schiffe und Besatzung betroffen sind (dies geschah bspw. auch schon in den Niederlanden, Frankreich, Malaysia und den USA). Denn auf einen internationalen Strafgerichtshof für Piraterie konnte man sich bisher global nicht einigen und der entsprechende Kapazitätsaufbau in der Region geht kaum voran.
Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Angeklagten nach ihrer Entlassung erneut den Piraten anschließen. Damit kann eine individuelle Prävention als erfolgreich gelten – das ist immerhin ein Teilerfolg. Ein langjähriger Freiheitsentzug in einem fremden Land ist sicherlich eine unangenehme Erfahrung. Der Strafvollzug könnte von den Angeklagten für eine Ausbildung genutzt werden – selbst wenn manche nur lesen und schreiben lernen. Im Anschluss muss und kann der Verbleib der Täter in Deutschland in Erwägung gezogen werden, eine Auslieferung nach Somalia ist unter den derzeitigen Umständen grundsätzlich nicht möglich. Eine generell abschreckende Wirkung auf andere somalische Piraten ist von dem Urteil jedoch kaum zu erwarten: Noch ist die Wahrscheinlichkeit strafrechtlich belangt zu werden zu gering und selbst die Gefahr, bei dem gefährlichen Unterfangen auf See umzukommen, haben bei Piratenbanden nicht zu Rekrutierungsschwierigkeiten geführt. Die Anzahl der Piratenangriffe ist zwar seit 2012 spürbar gesunken, dies wird aber vor allem auf den zunehmenden Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten, die robusteren Militärmissionen und die schlechten Wetterbedingungen zurückgeführt. Darauf hat auch der dem Verfahren vorsitzende Richter Bernd Steinmetz hingewiesen: Die Strafe hänge nicht nur von ihrer abschreckenden Wirkung, sondern insbesondere von der Schwere der persönlichen Schuld ab. Dies betreffe unter anderem den Aspekt der Sühne für die eigenen Taten und die Genugtuung für die Opfer.
Letztlich konnte der Prozess durch den Filter der Strafprozessordnung betrachtet, einen weiteren Einblick in die Situation in Somalia gewähren. Wie geht es nun weiter? Die Verfolgung der zur See agierenden Täter macht nur einen kleinen Teil der Maßnahmen gegen maritime Gewalt aus. Die Wurzeln der organisierten Piraterie können nicht erfolgreich bekämpft werden, solange Hintermänner und Geldwäscher nicht angeklagt und verurteilt werden und solange die Zustände in den somalischen Provinzen es erlauben, dass an den Küsten Schiffe festgehalten und Geiseln versorgt werden, solange Justiz, Polizei und Verwaltung nicht funktionieren, legale Einkommensmöglichkeiten rar sind und Entwicklung(sförderung) durch die Sicherheitslage und kriminelle und korrupte Strukturen an Land erschwert wird.
Auch die Rückendeckung der somalischen Bevölkerung ist für die Piraterie essentiell. Die Probleme, vor denen die internationale Handelsschifffahrt durch die Piraterie gestellt wird, erscheinen dem durchschnittlichen Somalier als marginal, gemessen an den Problemen im eigenen Land. Sie sehen ihre maritimen Ressourcen immer noch von anderen Ländern und ausländischen Firmen ausgeplündert und begreifen die Empörung über somalische Piraten als Ausdruck westlicher Doppelmoral.
Die internationale Gemeinschaft sollte die neue Regierung dabei unterstützen, Somalias Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) zweifelsfrei völkerrechtsgemäß zu deklarieren. Die Mission Atalanta sollte in die Lage versetzt werden, den Teil des Mandats, der sich auf die Beobachtung illegaler Fischereiaktivitäten vor der Küste Somalias bezieht, zu implementieren. Um besser feststellen zu können, welche Aktivitäten legal oder illegal sind, ist eine Zusammenarbeit mit Regierung und lokalen Autoritäten, die ggf. Fischereilizenzen vergeben haben, notwendig. All diese Schritte würden den Industriestaaten nicht nur eine stärkere Position gegenüber Anschuldigungen der Piraten verleihen, sondern vor allem die Vertrauensbasis in der somalischen Bevölkerung stärken, die notwendig ist, um weitere Maßnahmen an Land zu begleiten.
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