Zur Erinnerung an Wolf Graf von Baudissin
Wolf Graf von Baudissin war Gründungsdirektor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) und hat die Aufbau- und Etablierungsphase von 1971 bis 1984 entscheidend gestaltet. Von Baudissin war aber nicht nur maßgeblich an der Gründung des Instituts beteiligt. Als Urheber des Konzepts der Inneren Führung prägte der General in den 1950er-Jahren den Neuaufbau der deutschen Streitkräfte. Bis heute sind seine Ideen das Wertefundament und Selbstverständnis der Bundeswehr. Aus Anlass des 50. Gründungsjubiläums des IFSH hat die Historikerin Prof. (apl.) Dr. Dagmar Bussiek nun die erste Biografie Baudissins vorgelegt: „Dem Frieden verpflichtet. Wolf Graf von Baudissin (1907-1993) – die Biografie“.
Wolf Graf von Baudissin hat in seiner Person scheinbar Widersprüchliches vereint: Er war Offizier, Militärtheoretiker und Friedensforscher. Seine militärische Karriere begann er bereits während der Weimarer Zeit bei der Reichswehr. Er wurde 1935 Regimentsadjutant im Infanterie-Regiment 9 in Potsdam und besuchte ab 1938 die Kriegsakademie in Berlin. 1939 zum Hauptmann befördert, wurde er 1941 auf Anforderung Rommels zum Generalstab des Afrikakorps versetzt und geriet bereits nach kurzer Zeit in britische Kriegsgefangenschaft, die er bis 1947 in einem australischen Kriegsgefangenenlager verbrachte. Nach seiner Heimkehr nach Deutschland heiratete er die Künstlerin Dagmar Gräfin und Burggräfin zu Dohna-Schlodien.
Im Oktober 1950 wurde Baudissin zu jener Gruppe von Militärexperten hinzugezogen, die mit der Himmeroder Denkschrift erste Überlegungen zur Wiederbewaffnung (West-)Deutschlands und zum Aufbau der späteren Bundeswehr entwickelten. Schon hier wurden auch die Grundlagen des Konzepts der Inneren Führung gelegt, das Baudissin künftig als Kern seines Lebenswerkes betrachten sollte. Dieses Leitbild setzt dem militärischen Prinzip von Befehl und Gehorsam Grenzen. Es begreift die Soldaten – und heute auch Soldatinnen – der Bundeswehr als Staatsbürger*innen in Uniform, die für Demokratie, Freiheit, Frieden und Menschenwürde einstehen. Noch als Direktor des IFSH entwickelte Baudissin diese Gedanken weiter.
Er trat 1951 als Referatsleiter in das Amt Blank, der Vorgängerinstitution des späteren Bundesverteidigungsministeriums, ein und wurde 1955 Unterabteilungsleiter im Ministerium. 1956 als Oberst in die Bundeswehr übernommen, kommandierte er von 1958 bis 1961 eine Kampfgruppe, die spätere Panzergrenadierbrigade 4 in Göttingen. Von 1961 bis zum Eintritt in den Ruhestand Ende 1967 bekleidete er hohe Positionen innerhalb der NATO und wurde schließlich zum Generalleutnant befördert. Die Biografie arbeitet heraus, wie Baudissin diesen Karriereschritt tatsächlich als eine Form der Abschiebung durch die Bundeswehr bzw. die politisch Verantwortlichen in Bonn empfand. Er fürchtete um sein geistiges und politisches Erbe: das Konzept der Inneren Führung.
Mit dem Eintritt in den Ruhestand begann für Baudissin eine neue Lebensphase: An der Universität Hamburg übernahm er einen Lehrauftrag für Strategie. Und: Er war an der Gründung des IFSH federführend beteiligt. 1979 wurde er zum Professor ernannt, außerdem war er von 1980 bis 1986 Dozent für Außen- und Sicherheitspolitik an der heutigen Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg. Erst 1986 zog er sich endgültig ins Privatleben zurück.
Der General als Friedensforscher: Was vielen Zeitgenoss*innen und politischen Beobachter*innen als Bruch erschien, kann durchaus als logische Fortführung einer Entwicklung verstanden werden. Fragen von Krieg und Frieden, Sicherheit und Konfliktbewältigung begleiteten Baudissins Leben und Denken. Der gläubige Christ war zugleich ein überzeugter Realist, der davon ausging, dass Konflikte – auch harte Konflikte – zum menschlichen Leben gehören. Sein Ziel war nicht die Schaffung eines Endzustandes im Sinne ewigen Friedens, was er als illusorisch betrachtete, sondern die Einhegung von Konflikten im Zuge von Entspannungsprozessen. In diesem Sinne sollten Antagonisten sich stets auch als Partner betrachten.
Sicherheit und Frieden zusammen zu denken, ohne die Spannungen und Widersprüche dieser Beziehung zu leugnen – dieser Grundsatz spiegelt sich bis heute in der Arbeit und Forschung des Instituts wider. Sein Gründungsdirektor Wolf Graf von Baudissin hat mit seinen wegweisenden Ideen das IFSH nachhaltig geprägt – über Jahrzehnte hinweg.
Baudissins wegweisendes Konzept der Inneren Führung ist am 27. Oktober 2021 auch Thema einer gemeinsamen Diskussionsveranstaltung des IFSH und der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung gewesen. Einen Mitschnitt der Veranstaltung „Streitkräfte für den Frieden. Geschichte und Aktualität der Inneren Führung der Bundeswehr“ finden Sie hier.