Wichtig sei, schon jetzt die Zeit nach dem Krieg zu planen, so die Wissenschaftler:innen. "Friedensfähig in Kriegszeiten" lautet der Titel des diesjährigen Friedensgutachtens, das rund 150 Seiten Analysen und Empfehlungen umfasst. Insbesondere die Friedensfähigkeit der EU sei nun gefordert. Unabdingbar sei, die Entscheidungsverfahren in der EU zu reformieren, damit die Europäer in der Außen- und Sicherheitspolitik agiler und handlungsfähiger werden. Angesicht steigender Rohstoff- und Lebensmittelpreise warnen die Friedensforscher:innen zudem vor Ernährungskrisen und politischen Unruhen. Dies gelte insbesondere für viele afrikanische Staaten, die von den Weizenimporten aus Russland und der Ukraine abhängig seien.
Gefahr einer nuklearen Eskalation eindämmen
Darüber hinaus blickt das Friedensgutachten 2022 auf die geostrategischen Folgen des Krieges. Die Herausgeber:innen erläutern, ob es möglicherweise zu einer neuen russisch-chinesischen Interessenkoalition kommt und analysieren die sicherheitspolitischen Risiken. Nach Einschätzung der Friedensforscher:innen erhöht der Ukrainekrieg die Gefahr, dass Nuklearwaffen zum Einsatz kommen könnten enorm. Denn der Krieg ereignet sich in einer Zeit, in der internationale Verträge zur Rüstungskontrolle auslaufen oder erodieren. Um die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes und neuen Wettrüstens zu bannen, sollte die NATO ein Zeichen setzen und verbindlich erklären, auf den atomaren Ersteinsatz zu verzichten, fordern die Wissenschaftler:innen.
Sanktionen als Druckmittel klug einsetzen
Darüber hinaus legt das Gutachten die Erfolgsbedingungen von Sanktionen dar. Als außenpolitisches Instrument können Sanktionen als Druckmittel gegen einen Staat, der internationale Regeln verletzt, eingesetzt werden und mögliche Nachahmer abschrecken. Im schlechtesten Fall können sie jedoch Notlagen in der Bevölkerung verschärfen und Korruption und Repression befördern. Deshalb sollten Sanktionen klar kommuniziert und ihr Erfolg oder Misserfolg überwacht werden. Unter anderem sollte deutlich gemacht werden, unter welchen Bedingungen die Sanktionen wieder aufgehoben oder gelockert werden, zum Beispiel wenn in der Ukraine ein Waffenstillstand erreicht wird.
Zahl der Gewaltkonflikte erneut gestiegen
Unterdessen überschattet der Ukrainekrieg andere Gewaltkonflikte in der Welt, deren Anzahl erneut gestiegen ist. Insbesondere Afrika gilt als Krisenhotspot. Von den insgesamt 128 Konflikten, die 2020 gezählt wurden, fanden 78 auf dem afrikanischen Kontinten statt, was die Forschenden vor allem auf das Erstarken dschihadistischer Gruppen zurückführen.
In einem weiteren Kapitel beschäftigt sich das Friedensgutachten 2022 mit feministischer Außenpolitik. Es legt dar, wie diese helfen kann, Ursachen von Kriegen und Konflikten besser zu verstehen, insbesondere dann, wenn aus einem gefährlichen Verständnis von Männlichkeit imperiale Ansprüche erwachsen.
Schließlich votiert das Gutachten für demokratische Kontrollen von Sicherheitsinstitutionen. Es reagiert damit auf die ausgeweiteten Kompetenzen nationaler Sicherheitsinstitutionen in Demokratien angesichts von Terrorgefahr, Pandemie und Extremismus.
Im Anschluss an die Bundespressekonferenz stellen die Wissenschaftler:innen ihre Analysen und Empfehlungen im Bundeskanzleramt, Bundespräsidialamt, in den Ministerien und Fraktionen vor. Darüber hinaus gibt es zahlreichen Veranstaltungen für die interessierte Öffentlichkeit.
Die Direktorin des IFSH, Prof. Dr. Ursula Schröder, tritt unter anderem am 21. Juni 2022 um 18:30 Uhr bei der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin auf. Die Veranstaltung wird online übertragen.
Eine weitere Veranstaltung mit der Evangelischen Akademie zu Berlin, an der voraussichtlich auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock teilnehmen wird, ist auf den September verschoben worden.
Die Aufzeichnung der Bundespressekonferenz vom 21. Juni 2022 finden Sie in der ARD-Mediathek sowie auf Phoenix.de.
Die Pressemitteilung zum Friedensgutachten 2022 finden Sie hier.
Zudem gibt es weitere Informationen auf www.friedensgutachten.de.
Über das Friedensgutachten
Das Friedensgutachten ist die jährlich erscheinende Publikation des Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC), des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Frieden- und Konfliktforschung (HSFK), des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und des Instituts für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen (INEF).
Die führenden deutschen Friedens- und Konfliktforschungsinstitute analysieren darin aktuelle internationale Konflikte, zeigen Trends der internationalen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik auf und geben klare Empfehlungen für die Politik. Interdisziplinäre Autor:innenteams aus Politikwissenschaft, Soziologie, Ethnologie, Physik und Religionswissenschaften arbeiten gemeinsam an den Kapiteln und bringen dabei verschiedene Blickwinkel ein.
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