Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg ist zur Gallionsfigur einer neuen Protestbewegung geworden: Junge Leute politisieren sich und gehen wieder zu Zehntausenden auf die Straße, um zu demonstrieren. Sei es für mehr Klimaschutz oder gegen die EU-Urheberrechtsreform. Ein wichtiges Instrument für die politische Teilhabe von jungen Frauen und Männern ist das Internet. Insbesondere die sozialen Medien spielen eine zentrale Rolle. Der zweite Teil der IFSH-Diskussionsrunde stand deshalb unter dem Motto: „Mitmischen und Aufrütteln: Digitaler Aktivismus als Ausdruck einer neuen Jugend-Protestkultur?“. In welcher Weise befähigt die Digitalisierung Jugendliche zur politischen Meinungsäußerung und Mitgestaltung? Wie sollte die Politik diese Entwicklung nutzen, um das Interesse der „Generation YouTube“ an der Demokratie dauerhaft zu stärken?
Nach einer kurzen Einführung von Projektkoordinatorin Dr. Regina Heller diskutierten Wissenschaftler*innen, Praktiker und Expertinnen diese Fragen. Auf dem Podium saßen Sigrid Baringhorst, Politikwissenschaftlerin an der Universität Siegen, Sebastian Haunss, Protestforscher an der Universität Bremen, der Social Media-Journalist und Blogger Jan Schipmann sowie die Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, Sabine Bamberger-Stemmann. Kathrin Schmid von NDR Info moderierte die Veranstaltung.
Sind junge Leute heute politisch interessierter als früher?
Nach Ansicht von Social Media-Journalist Jan Schipmann ist das neue politische Engagement der Jungen insbesondere der Fridays for Future-Bewegung zu verdanken. Politikwissenschaftlerin Sigrid Baringhorst hielt dagegen: Junge Leute hätten sich schon immer politisch engagiert, nur die Themen hätten sich geändert: Waren es in den vergangenen Jahrzehnten vor allem Fragen der sozialen Gerechtigkeit oder die Sorge über die atomare Aufrüstung, gingen junge Leute heute für den Klimaschutz auf die Straße. Protestforscher Haunss machte allerdings eine Einschränkung: Er beobachtet, dass vor allem die Fridays for Future-Demos ein sehr junges Publikum ansprechen. An den Protestmärschen beteiligten sich mehrheitlich junge Frauen unter 19 Jahren. Und: Die jungen Demonstrantinnen entstammten zumeist aus gut situierten Elternhäusern der gehobenen Mittelschicht und strebten höhere Bildungsabschlüsse an.
Welche Rolle spielt das Internet bei der politischen Meinungsbildung?
Zu einer unterschiedlichen Einschätzung kamen die Expertinnen und Praktiker bezüglich der Frage, welche Rolle das Internet bei der Politisierung spiele. Insbesondere die sozialen Medien seien ein entscheidender Katalysator, argumentierte YouTuber Jan Schipmann. Über WhatsApp- und Facebook-Gruppen ließen sich in kürzester Zeit Demos und andere politische Veranstaltungen organisieren. Zudem ermöglichten sie einen sehr niedrigschwelligen Zugang zu politischen Themen. Protestforscher Sebastian Haunss differenzierte. Er stellte fest, dass nach wie vor persönliche Kontakte entscheidend seien, um junge Leute zu mobilisieren.
Die Leiterin der Hamburger Landeszentrale für politische Bildung Sabine Bamberger-Stemann attestierte der jungen Generation insgesamt eine sehr hohe Medienkompetenz. Allerdings gebe es bei den politischen Protestbewegungen unzählige Formate, die unterschiedlich erfolgreich seien. So sei zum Beispiel fraglich, ob das „Zerstör-Video“ des Bloggers Rezo auch dann so folgenreich gewesen wäre, hätte er nicht die CDU, sondern eine andere Partei ins Visier genommen. Klar sei aber, dass sich der Spielraum der politischen Akteure durch die sozialen Medien erweitert habe, bilanzierten die Expertinnen und Experten.
Sie können sich die Podiumsdiskussion vom 6. November auf unserem IFSH-YouTube-Kanal anschauen!
Die Veranstaltung fand im Rahmen des Jubiläumsprogramms „100 Jahre Universität Hamburg“ statt und wurde aus dem Jubiläumsfonds der Universität gefördert.
Die IFSH-Veranstaltungsreihe war am 23. Oktober gestartet. Bei der ersten Podiumsdiskussion hatte die Radikalisierungsprävention bei Jugendlichen im Mittelpunkt gestanden. Wissenschaftler, Streetworkerinnen und Experten diskutierten die Frage: Woran erkenne ich, wenn sich junge Menschen radikalisieren und wie kann man sie gegen die radikalen und extremistischen Verlockungen aus dem Netz immunisieren?
NDR Info sendete am 28. Oktober 2019 in der Sendung „Das Forum“ einen Mitschnitt der ersten Veranstaltung. Die Sendung ist in der Mediathek des NDR nachzuhören.