Auf dem Weg zu einem kalten Frieden

IFSH-Kurzanalyse von Dr. Hans-Georg Ehrhart

 

„Angesichts der realen Gefahr wechselseitiger nuklearer Vernichtung und der hohen Kosten eines langen Krieges wäre ein kalter Frieden vorzuziehen.“ (c) picture alliance ASSOCIATED PRESS Efrem Lukatsky

 

„Angesichts der realen Gefahr wechselseitiger nuklearer Vernichtung und den Kosten eines langen Krieges wäre ein kalter Frieden vorzuziehen. Darum sollte der Westen Putin nicht als persona non grata einstufen, mit der man keine Abkommen anschließen kann, sondern alles daran setzen, dass ein kalter Frieden möglich wird.“ (Dr. Hans-Georg Ehrhart)

Jeder Krieg geht einmal zu Ende, hoffentlich bald auch der Krieg in der Ukraine. Geht man von den Erkenntnissen des Kriegsphilosophen Carl von Clausewitz aus, dann ist Krieg ein erweiterter Zweikampf, der in der Regel begrenzte politische Ziele verfolgt. Er ist also ein Mittel der Politik. Grundsätzlich wohnt ihm aber die Tendenz inne, zum äußersten zu tendieren, also zur Anwendung eines Höchstmaßes an Gewalt. Dann spricht Clausewitz von absolutem Krieg. Diese grenzenlose Eskalation wird normalerweise durch den begrenzten politischen Zweck verhindert.

Die russischen Interventionen in die Ukraine 2014 und 2022 haben die europäische Friedensordnung der Charta von Paris zerschlagen. Dieser Krieg ist bislang noch begrenzt, hat aber das Potenzial zu eskalieren: horizontal nach ganz Europa und darüber hinaus, vertikal auf die Ebene chemischer und nuklearer Massenvernichtungswaffen. Darum müsste er eigentlich so schnell wie möglich beendet werden. Doch während Moskau seine Streitkräfte umgruppiert, um sich auf den Südosten zu konzentrieren, verstärkt der Westen seine militärische Unterstützung für die Ukraine und seine Sanktionen gegen Russland. Wie und wann kann dieser Krieg also enden?      

Gegenwärtig setzen beide Seiten auf Sieg, was immer das konkret bedeuten mag. Eine Eroberung und Besetzung des ganzen Landes durch Russland ist zurzeit ebenso wenig möglich wie eine Vertreibung der Invasoren durch die ukrainische Armee. Die Option eines Diktatfriedens mit einem Gewinner und einem Verlierer scheidet aus, solange der Westen die ukrainischen Verteidigungsanstrengungen unterstützt und Moskau bei seinen mittlerweile reduzierten Kriegszielen bleibt.

Wahrscheinlicher ist, dass sich eine langwierige kriegerische Auseinandersetzung entwickelt, in der es keine Sieger und Verlierer gibt. In einem solchen Szenario würden die Kriegsparteien Methoden der konventionellen und unkonventionellen Kriegführung anwenden. Kämpfe und Feuerpausen würden sich möglicherweise abwechseln, in der Grauzone würde aber weitergekämpft. Ein Friedensschluss wäre so lange nicht in Sicht, wie Moskau meint, mit seinem Imperialismus die „russische Welt“ zu verteidigen und die Ukraine mit Unterstützung des Westens außer sich selbst auch die „freie Welt“. Erst wenn einer oder alle Protagonisten erschöpft sind, käme es zum (möglicherweise nur vorläufigen) Ende des Konflikts.

Alle skizzierten Optionen würden immense soziale, politische, wirtschaftliche, finanzielle und psychologische Folgen für die Menschen in Europa und der Welt bedeuten. Darum führt kein Weg an einem Verhandlungsfrieden vorbei, der von beiden Seiten Konzessionen erfordert. Dieser wird wahrscheinlich nicht durch einen punktuellen Friedensschluss ermöglicht, sondern durch einen Prozess, der schrittweise zur Gewaltdeeskalation führt. Da auf allen Seiten Misstrauen und Verbitterung vorherrschen, wird es bestenfalls auf einen kalten Frieden durch Stärke und militärisches Gleichgewicht bei fortgesetztem ideologischen Konflikt herauslaufen.

Angesichts der realen Gefahr wechselseitiger nuklearer Vernichtung und den Kosten eines langen Krieges wäre ein kalter Frieden vorzuziehen. Er ermöglichte zumindest das menschliche Überleben durch Koexistenz und damit eine Voraussetzung dafür, dass eines Tages wieder die Logik des Friedens dominiert. Darum sollte der Westen Putin nicht als persona non grata einstufen, mit der man keine Abkommen anschließen könne, sondern alles daran setzen, dass ein kalter Frieden möglich wird.