Deutschlandweit demonstrieren Landwirte gegen die Subventionskürzungen der Bundesregierung. Die „Bauernproteste“ haben aufgrund des Verkehrschaos durch Trecker-Blockaden auf sich aufmerksam gemacht. Nachdem ein wütender Mob Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) am Verlassen einer Fähre behinderte, warnte er in einem Post auf Instagram vor Extremismus bei Bauernprotesten. Aufrufe mit Umsturzphantasien kursierten und völkisch-nationalistische Symbole würden offen gezeigt, so Habeck. Er mahnt, dass man es nicht zulassen dürfe, dass Extremisten die Proteste der Bauern kaperten. Denn Umsturzphantasien bedeuteten nichts anderes als unseren demokratischen Staat zu zerstören. Der Bauernverband distanzierte sich mehrfach von Aktionen rechter Akteure.
Rechtsextremisten vereinnahmen Kundgebungen von Bauern mit ihren Themen
Recherchen der Wochenzeitung DIE ZEIT zeigen, dass die Aktion am Fähranleger offenbar von radikal rechten Personen initiiert wurde und diese die Wut und Verunsicherung der Landwirte für sich nutzten, wie das Blatt schreibt. Unsicherheit, Krise, Kontrollverlust und die Angst vor dem Verlust von Privilegien sind gesellschaftliche Dynamiken, auf die extremistische Kräfte wie etwa die Kleinstpartei „Freie Sachsen“ gerne ihre eigenen Agenden entfalten.
Auf den Bauern-Demonstrationen fielen unter anderem weiß-grüne Fahnen mit Wappen des ehemaligen sächsischen Königreiches auf, die beliebt bei den „Freien Sachsen“ sind. Auf ihrer Website bietet die Partei diese Fahne neben weiteren Streuartikeln wie Tassen, T-Shirts und Aufklebern an. Auf Telegram tritt diese politische Gruppe mit dem Slogan „FREIE SACHSEN – Wir vernetzen den Widerstand“ auf. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen hat die Partei 2021 als erwiesen rechtsextremistisch und verfassungsfeindlich eingestuft. Der Parteivorstand besteht überwiegend aus bekannten sächsischen Rechtsextremisten, darunter Stefan Hartung.
Hartung, stellvertretender Vorsitzender der „Freien Sachsen“ und NPD-Mitglied, sprach auf einer Veranstaltung im Rahmen der Bauern-Protestwoche in Aue am 8.1.2024. Dies ist beispielhaft für die Vereinnahmungsversuche der „Freien Sachsen“ während der Bauernproteste. In seiner Rede beschrieb er die Proteste der Bauern als vollen Erfolg – mit Hunderttausenden Teilnehmenden, einem Autokorso mit über 1000 Fahrzeugen und Protesten überall in Sachsen. Wenn Politiker noch Anstand hätten, so Hartung, würden sie zurücktreten und den Weg frei machen. Denn man wolle nicht, dass irgendwelche Politiker aus Brüssel und Berlin über sie fremdbestimmten und ihnen Sachen „überstülpen wie Klimaideologie, Genderwahn und diesen ganzen Schwachsinn“, denn „in einem wirklich freien Land gäbe es solche Sachen nicht“. Er kommt schließlich auf den für ihn springenden Punkt: Es ginge noch nie um den Agrardiesel, so Hartung, sondern es sei nur der Anstoß, der den Stein der Protestwellen für grundlegende Veränderungen ins Rollen gebracht habe. Hartung verbucht die Proteste der Bauern also als einen Erfolg für jene Kräfte, die einen politischen Umsturz sehen wollen und bringt eigene Themen jenseits der Bauernthematik ein.
Kein neues Phänomen, Stichwort: „Corona-Diktatur“
Dass Rechtsextreme bestimmte Themen und Proteste instrumentalisieren, ist nicht neu. Allein in den vergangenen Jahren konnten Vereinnahmungsversuche beispielhaft beobachtet werden. Dass Rechtsextreme während der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 ihre Bedrohungserzählungen des „Bevölkerungstausches“ und des „Volkstods“ lancieren konnten, ist inhaltlich naheliegend. Doch auch andere Themen griffen sie passgenau auf. So standen die Proteste gegen staatliche Coronamaßnahmen prominent im medialen Zentrum der Aufmerksamkeit als sich Reichsbürger, Querdenker, QAnon-Anhänger und rechte Parteien zusammenschlossen und eine „Corona-Diktatur“ witterten. Die Energiekrise, die mit Inflation, steigenden Preisen und der Sorge vor Versorgungsengpässen einherging, gab ebenfalls Anlass für rechtsextremes Angstschüren und Protestmobilisierungen seitens der Freien Sachsen, der AfD und anderen rechtsextremen Akteuren.
Ausgewogene mediale Berichterstattung kann Schaden abwenden
Auch bei künftigen Krisen und Protesten ist damit zu rechnen, dass demokratiefeindliche Akteure Demonstrationen und Proteste aus anderen Bereichen instrumentalisieren. Den Schaden haben insbesondere diejenigen, die für essentielle und legitime Anliegen demonstrieren. Nämlich dann, wenn die mediale Aufmerksamkeit nicht ihnen und ihrem Anliegen gilt, sondern den Rechten und Systemkritikern, die versuchen, jene Proteste zu unterwandern und für ihre Zwecke auszunutzen.
Über die Autorin:
Dr. Janina Pawelz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IFSH und Verbundkoordinatorin und Projektleiterin des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „Muster und Dynamiken von Verschwörungstheorien und rechtsextremen Ideologien in Krisenzeiten“ (NEOVEX).