Krieg gegen Syrien?
29.08.2013
Margret Johannsen
Am 21. August 2013 wurden in Ghuta, einem östlichen Vorort von Damaskus, mehrere tausend Menschen mit Vergiftungssymptomen in Krankenhäuser eingeliefert. Mehrere hundert von ihnen starben. Ein Inspektorenteam der UNO untersucht den Vorfall.
Frage:
Welches Gift wurde eingesetzt und wer ist dafür verantwortlich?
Antwort:
Bisher ist nicht genau bekannt, um was für Stoffe es sich handelt und wer für deren Einsatz die Verantwortung trägt. Die Berichte des medizinischen Personals lassen aufgrund der beobachteten Symptome auf den Einsatz von Nervengiften schließen. Dazu zählen Sarin und VX, wovon die syrischen Streitkräfte nach den Erkenntnissen westlicher Experten 700 bzw. 100 Tonnen besitzen. Das UN-Inspektorenteam unter Leitung des schwedischen Kampfstoffexperten Åke Sellström soll Erkenntnisse sammeln, die eine Klärung ermöglichen könnten. Hierzu nimmt das Team Proben in Krankenhäusern und am Tatort. Es ist zwar nicht seine Aufgabe, die Verantwortlichen zu benennen. Aber es ist nicht auszuschließen, dass die Untersuchungen Rückschlüsse auf die Täter erlauben. Geheimdienste können eine neutrale Untersuchung nicht ersetzen. Sie haben sich in der Vergangenheit als unzuverlässig erwiesen und allzu oft Erkenntnisse produziert, die nicht der Wahrheitsfindung dienten, sondern ihrer Regierung Vorwände für Krieg lieferten.
Frage:
Wer kommt als Täter in Frage?
Antwort:
Als Tatverdächtige kommen die syrische Zentralgewalt mit Präsident Assad an der Spitze, eigenmächtig handelnde Teile der Armee oder Teile der bewaffneten Opposition in Frage. Ihre Interessen sind zwar grundverschieden, aber von vornherein ausschließen lässt sich ihre Verantwortung nicht. Denkbar ist aber auch, dass ein Beschuss eines C-Waffen-Lagers oder die Eroberung geheimer Bestände Giftgas freigesetzt hat.
Das Regime könnte mit einem Chemiewaffeneinsatz demonstrieren wollen, dass es zur Eskalation des Krieges bereit ist und keine Skrupel kennt, wenn es um den Machterhalt geht. Damit hätte sich das Regime von seiner bisherigen Kriegführung verabschiedet. Aufgrund seiner militärischen Übermacht ist die Assad-Regierung nicht darauf angewiesen, solche Waffen einzusetzen, zumal sie damit ein militärisches Eingreifen der USA in den Bürgerkrieg riskierte.
Auch wenn die Informationen der UN-Inspektoren darauf hindeuten sollten, dass die in Ghuta eingesetzten chemischen Kampfstoffe aus den Arsenalen der syrischen Armee stammen, wäre die Täterschaft noch nicht eindeutig geklärt. Möglich ist auch ein von der politischen bzw. militärischen Führung nicht genehmigter Beschuss. Die Spekulationen darüber schießen ins Kraut. Gleichgültig ob er den Rebellen oder unteren Rängen der syrischen Armee anzulasten ist und welches die dahinterstehenden Motive sein könnten – ein nicht genehmigter Einsatz von Chemiewaffen wäre ein Indiz, dass die zentrale Kontrolle der Chemiewaffenarsenale bzw. ihrer Lagerstätten nicht gewährleistet ist. Das allein ist alarmierend, weil ein derartiger Kontrollverlust die Bemühungen um die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, in diesem Falle Chemiewaffen, konterkariert.
Angesichts der wild wuchernden Spekulationen ist es von großer Bedeutung, den Inspektoren die Chance zu geben, ihre Untersuchungen ohne Zeitdruck zu Ende zu führen. Auch wenn eindeutige medizinische Nachweise über die eingesetzten Kampfstoffe nach Ablauf einiger Tage nur noch mit aufwändigen Verfahren zu erbringen sind, so bleiben den Inspektoren doch viele weitere Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, z.B. Bodenproben, Suche nach Granatsplittern oder Raketenteilen, Befragungen von Zeugen u.a.m. Hunderte von direkt Betroffenen lassen sich nicht zum Schweigen bringen.
Frage:
Wäre eine militärische Strafaktion mit gezielten Luftschlägen zur Abschreckung vor weiteren Chemiewaffeneinsätzen berechtigt?
Antwort:
Völkerrechtlich unzweifelhaft legitimiert könnte der Westen nur mit Billigung des UN-Sicherheitsrates in den syrischen Bürgerkrieg eingreifen. Für eine militärische Strafaktion eines Staates oder einer Staatenkoalition der Willigen lässt sich das Völkerrecht nicht in Anspruch nehmen. Für die Ahndung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist der Internationale Strafgerichtshof zuständig, der auf Ersuchen des UN-Sicherheitsrates gegen die Verantwortlichen in Syrien vorgehen kann.
Frage:
Ist eine militärische Intervention erlaubt, wenn ein Staat seiner Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern nicht nachkommt, sie vielmehr andauernd und massenhaft verletzt?
Antwort:
Die internationale Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) ist als völkerrechtliches Gewohnheitsrecht nicht anerkannt. Die als Rechtsnorm grundsätzlich zu akzeptieren schließt nicht aus, über ihre Anwendung im Einzelfall zu streiten. Ihr Kern ist der Schutz der Zivilbevölkerung. Eine Strafaktion ließe sich nicht glaubhaft als Schutzmaßnahme deklarieren. Ohne ein UN-Mandat wäre der politische Preis für eine Intervention nach Maßgabe der Schutzverantwortung hoch. Sie würde die Bemühungen zur Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und zum gemeinsamen Konfliktmanagement schwer beschädigen.
Frage:
Kann ein militärisches Eingreifen auf Seiten der Opposition den Bürgerkrieg beenden?
Antwort:
Ein Sieg der syrischen Rebellen lässt sich nicht mit Luftschlägen herbeibomben. Zu unübersichtlich sind, anders als in Libyen, Kampfgeschehen und Fronten. Ohne den Einsatz von Bodentruppen scheint es nicht möglich, das syrische Regime zu entmachten und den Krieg zu beenden. Vor einem Einsatz mit Bodentruppen aber schrecken die Staaten zurück, die erklärtermaßen auf Seiten der syrischen Opposition stehen. Sie fürchten die voraussehbaren eigenen Verluste. Angesichts der ethno-konfessionellen Dimension des syrischen Bürgerkriegs müsste eine bewaffnete Intervention groß und auf Dauer angelegt sein. Nach den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan ist aber nirgendwo die Bereitschaft für die Übernahme von langfristiger Verantwortung erkennbar.
Frage:
Ist die UNO angesichts der Blockade des Sicherheitsrates durch die Vetomächte überhaupt noch als Einrichtung im Dienst des Friedens und der internationalen Sicherheit ernst zu nehmen?
Antwort:
Die Blockade des Sicherheitsrats durch Staaten mit Vetomacht ist kein neues Problem. Um sie zu überwinden ist es sinnvoll, an den Interessen derjenigen anzuknüpfen, mit denen zusammen man ein Problem lösen muss. Insbesondere Russland und China, die bisher verhindert haben, dass der Sicherheitsrat das Vorgehen des syrischen Regimes verurteilt, müssten bereit sein, Maßnahmen zur Beendigung der Kampfhandlungen und Vereinbarungen für eine politische Lösung mitzutragen. Vorbedingungen wie die, auf einer Lösung ohne Beteiligung des Regimes zu bestehen, sind nicht zielführend, sondern kontraproduktiv. Auch die Absage des amerikanisch-russischen Vorbereitungstreffens für die Genf-II-Konferenz durch die USA ist das Gegenteil von kluger internationaler Politik. Die Bemühungen von UN-Sonderbotschafter Lakhdar Brahimi um ein Zustandekommen der Konferenz, die einen politischen Prozess zur Konflikttransformation in die Wege leiten soll, verdienen jede Unterstützung.
Frage:
Kann man es angesichts von hunderttausend Toten und ungezählten Verletzten, der Zerstörungen und der zerfallenen Ordnung, der Flüchtlingsströme und der Destabilisierung der Nachbarstaaten verantworten, nichts zu tun?
Antwort:
Nein, das kann man nicht. Darum ist es wichtig, zivile Alternativen stark zu machen. Bemühungen um einen internationalen Verhandlungsprozess, in dem die USA, Russland und die EU sowie die Nachbarstaaten zusammen Druck auf die Bürgerkriegsparteien ausüben, sind zielführender als Waffenlieferungen oder die Ankündigung von Militärschlägen. Doch schon eine lokale Reduzierung der Gewalt durch partielle Waffenruhen würde vor allem der unbewaffneten Opposition nützen und ihr die Chance bieten, wieder mehr öffentliche Unterstützung für einen Wandel ohne Gewalt zu erhalten. Verhandlungen hierüber würden allerdings enorm erschwert, wenn der Einsatz von Giftgas zweifelsfrei dem Regime anzulasten ist. Jenseits des Streits über einen vermeintlich gerechten Krieg ist es erforderlich und möglich, die Menschen und Organisationen unterstützen, die das physische und soziale Überleben der Zivilbevölkerung zu sichern bemüht sind. Hilfe wird nicht nur zur Abwendung einer humanitären Katastrophe benötigt, sondern auch zur Stärkung der lokalen Strukturen ziviler Selbstverwaltung. Für den materiellen und politischen Wiederaufbau eines Nachkriegssyriens ist solche Hilfe eine gut angelegte Investition.
Frage:
Was ist über die Unterstützung der unbewaffneten Opposition hinaus möglich, um der Gefahr einer weiteren Destabilisierung der Region entgegenzuwirken?
Antwort:
Vor allem beim Umgang mit dem Flüchtlingsproblem ist Großzügigkeit gefordert. Die Nachbarstaaten, die hunderttausende aufgenommen haben, benötigen dringend Unterstützung. Darüber hinaus aber sollten zu deren Entlastung und zur Abmilderung von Spannungen in den Grenzregionen die europäischen Staaten bereit sein, einen eigenen fairen Anteil an der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu übernehmen. Das Angebot der deutschen Regierung, 5.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, ist in Anbetracht der ökonomischen Leistungsfähigkeit Deutschlands und der großen Opfer, die weitaus ärmere Staaten auf sich nehmen, nicht angemessen.
Kontakt: Margret Johannsen