Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen: Zwischen Anbiederung und rechtlicher Einhegung

IFSH-Kurzanalyse von PD Dr. Hendrik Hegemann

AfD-Anhänger:innen bei einer Wahlkampfveranstaltung (c) picture alliance/dpa | Andreas Arnold

Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September errang die Alternative für Deutschland (AfD) Rekordergebnisse. Im Anschluss daran intensivierte sich die seit Längerem laufende Diskussion darüber, wie Staat und Gesellschaft grundsätzlich mit autoritären und extremistischen Parteien umgehen sollten.  

Diese Debatte schwankt zwischen zwei vereinfachenden Polen. Auf der einen Seite des Spektrums fordern nicht nur konservative Politiker:innen und Medien, dass nun vor allem eine demonstrative Wende in der Migrationspolitik notwendig sei. Inwieweit sich mit einem solchen Schwenk Wähler:innen der AfD kurzfristig zurückgewinnen ließen, ist allerdings umstritten. Analysen zeigen, dass sich der Wahlerfolg der AfD keineswegs nur aus „Protestwähler:innen“ speist. Ein großer Teil ihrer Wähler:innen teilt vielmehr wichtige Elemente des autoritären, teils extremistischen Weltbildes der AfD. Viele schreiben der Partei inzwischen auch in anderen Politikfeldern eine hohe inhaltliche Kompetenz zu.

Auf der anderen Seite wird die Forderung nach einer noch schärferen Abgrenzung gegenüber den Wähler:innen der AfD erhoben sowie nach den rechtlichen Instrumenten der „wehrhaften Demokratie“ gerufen, wie etwa dem Entzug bestimmter politischer Rechte für einzelne Personen. Aus dieser Perspektive sind praktisch ausschließlich autoritäre und extremistische Ideologien für den Aufstieg der AfD verantwortlich, während der Blick auf breitere politische und gesellschaftliche Ursachen schnell als Übernahme von AfD-Narrativen gilt. Eine solche Sicht konzentriert sich auf die Stabilität bestehender Institutionen, misstraut der demokratischen politischen Auseinandersetzung und verkennt, dass „der Ruf nach Wehrhaftigkeit stets demokratische Defekte und Versäumnisse anzeigt“.

Patentrezepte gibt es nicht

Die Widersprüche bei der Suche nach einer effektiven Strategie spiegeln die Komplexität der Lage wider. Auch die wissenschaftliche Forschung kann kein Patentrezept anbieten. Demokratische Parteien sollten sich dennoch nicht von der AfD und anderen Gruppen vor sich hertreiben lassen. Sie sollten sich aber auch nicht mit einer ereignisgetriebenen Symbolik von einer Wahl zur nächsten hangeln oder primär auf rechtliche Einhegung setzen. Ziel sollte vielmehr sein, an einer langfristig und breit angelegten Strategie zu arbeiten, die im Umgang mit einem Phänomen, das nicht einfach verschwinden wird, vor allem auf die Kraft demokratischer Politik und Gesellschaft vertraut.
 
Dies verlangt die selbstkritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen und vorhandenen Defiziten. Der Aufstieg autoritärer, teils extremistischer Parteien hat vielfältige Gründe. Neben der Normalisierung der von diesen Gruppen vorangetriebenen Ideen gehören dazu unter anderem gesellschaftliche Desintegration oder veränderte Kommunikationskulturen. Die Forschung zeigt aber auch, dass insbesondere sozial schwächere Gruppen und ihre Interessen bei politischen Entscheidungen weniger berücksichtigt werden. Demokratische Parteien müssen nachhaltige Antworten für diese Herausforderungen entwickeln, auch wenn dies keine einfache Aufgabe ist.

Kritischer Dialog statt Polarisierung

Trotzdem ist die öffentliche Abgrenzung gegenüber autoritären, teils extremistischen Parteien wichtig. Der kritische Dialog mit populistischen und illiberalen Kräften aber sollte aufrechterhalten werden, solange diese elementare demokratische Spielregeln sowie die Grund- und Menschenrechte akzeptieren. Eine aggressive, pauschale Gegenpolarisierung gegenüber den (potenziellen) Wähler:innen der AfD verschärft langfristig eher gesellschaftliche Spannungslagen und kann kontraproduktiv sein.

Die nun vielfach diskutierte Idee der „demokratischen Resilienz“, etwa durch Festschreibungen zur personellen Besetzung und Arbeit des Bundesverfassungsgerichts, kann die Blockade oder Unterminierung zentraler rechtsstaatlicher Institutionen durch die AfD verhindern oder jedenfalls erschweren. Demokratische Resilienz sollte sich aber nicht auf die Garantie bestehender Strukturen beschränken. Demokratische Parteien müssen innovative Antworten auf aktuelle Krisen und Herausforderungen finden. Eine starke demokratische Opposition und eine aktive Zivilgesellschaft sind daher mindestens ebenso wichtig. Gesellschaftliche Initiativen sowie direkt von Hass und Gewalt betroffene Gruppen gilt es in der aktuellen Situation besonders zu stärken und zu schützen.

 

Über den Autor:
PD Dr. Hendrik Hegemann ist wissenschaftlicher Referent am IFSH im Forschungsbereich “Gesellschaftlicher Frieden und Innere Sicherheit”.