Am 10. Dezember 2024 fand die Abschlussveranstaltung des Forschungsprojekts NEOVEX (Muster und Dynamiken von Verschwörungstheorien und rechtsextremen Ideologien in Krisenzeiten) in der Landesvertretung der Freien und Hansestadt Hamburg in Berlin statt.
Die anschließende öffentliche Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Umkämpfte Wahrheiten: Verschwörungstheorien im digitalen Zeitalter und die Stärkung demokratischer Resilienz“ war mit über 80 Teilnehmenden ausgebucht.
Forschung über Mechanismen und Verbreitungswege von Desinformation und rechtsextremen Ideologien
Das interdisziplinäre Team des Verbundprojekts NEOVEX untersuchte unter der Koordination der IFSH-Wissenschaftlerin Dr. Janina Pawelz zentrale Mechanismen und Verbreitungswege von Desinformation und extremistischen Ideologien. Vier führende Forschungseinrichtungen arbeiteten über drei Jahre hinweg eng zusammen, um ein umfassendes Bild dieser gesellschaftlichen Herausforderungen zu zeichnen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hatte das Projekt gefördert. Während der Abschlussveranstaltung am 10. Dezember 2024 stellten alle beteiligten Institute ihre Forschungsergebnisse vor:
Wiederkehrende Muster werden durch neue Technologien befeuert
Das Team des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) konzentrierte sich auf die historischen Dimensionen von Verschwörungstheorien und zeigte, dass bestimmte Narrative seit Jahrhunderten immer wiederkehren. Themen wie Ritualmordlegenden, Satanismus-Vorwürfe oder die Angst vor Umsturz und geheimen Eliten ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Ein bemerkenswerter Vergleich: Mit der Einführung des Buchdrucks glaubten viele Menschen, dass alles Gedruckte wahr sei – ein Phänomen, das sich heute in der digitalen Welt widerspiegelt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Strategien der Angstmache und Manipulation über Jahrhunderte hinweg erstaunlich konstant geblieben sind, wenngleich sie sich an neue technische Möglichkeiten angepasst haben.
Transnationale Vernetzung rechtsextremer Akteure
Die Professur für Political Data Science an der Hochschule für Politik an der Technischen Universität München (TUM) untersuchte die transnationalen Aktivitäten und Vernetzungen rechtsextremer Akteure, insbesondere während der Corona-Pandemie. Ein besonderer Fokus lag auf koordiniertem nicht-authentischen Verhalten, beispielsweise dem Einsatz von Bots. Die Forschung zeigte, dass solche Strategien zwar existieren, ihren Einfluss auf öffentliche Debatten jedoch überschätzen. Am Beispiel des Hashtags #nocovid wurde deutlich, dass Plattformpolitik – also die Entscheidungen von Social-Media-Unternehmen zur Moderation und Sichtbarkeit von Inhalten – eine wesentliche Rolle spielt. Restriktionen der Plattformen schränkten die Reichweite bestimmter Akteure effektiv ein und trugen zur Eindämmung von Desinformation bei.
Von der Nische in den Mainstream
Die Freie Universität Berlin/Weizenbaum-Institut in Berlin analysierte, wie rechte Verschwörungstheorien sich über verschiedene digitale Plattformen hinweg verbreiten. Dabei zeigte sich, dass diese Erzählungen gezielt an die jeweiligen Medienformate und Zielgruppen angepasst werden, um eine maximale Reichweite zu erzielen. Rechte Verschwörungstheorien sind nicht nur auf Nischenplattformen präsent, sondern finden durch plattformübergreifende Strategien auch den Weg in etablierte Medien und erreichen so ein breiteres Publikum. Die Forschung unterstreicht, dass die digitale Diffusion solcher Inhalte ein komplexes Zusammenspiel aus Akteuren, Plattformmechanismen und gezielter Kommunikation ist.
Plattformpolitiken der Technologieunternehmen setzen vermehrt auf Einschränkung der Sichtbarkeit von Inhalten
Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ Jena) untersuchte, wie große Technologieunternehmen auf Hass, Extremismus und Desinformation reagieren. Die Ergebnisse zeigen, dass Plattformpolitiken zunehmend pragmatischer werden: Anstatt Inhalte nur zu löschen, wird verstärkt deren Sichtbarkeit gesteuert, beispielsweise indem sie anderen Usern nicht angezeigt werden. Diese Entwicklung orientiert sich immer stärker an gesellschaftlichen Debatten und politischen Erwartungen. Die Forschung macht deutlich, dass die Entscheidungen der Plattformen über den Umgang mit extremistischen Inhalten erhebliche Auswirkungen darauf haben, wie solche Inhalte wahrgenommen und verbreitet werden.
Podiumsdiskussion zeigt Wege zu mehr gesellschaftlicher Widerstandsfähigkeit auf
Im Anschluss an die Ergebnispräsentation begann die Diskussionsveranstaltung mit einer Begrüßung durch Dr. Janina Pawelz, die als Verbundkoordinatorin einen Überblick über die Arbeit der einzelnen Projektpartner gab. Anschließend moderierte Maik Fielitz vom IDZ Jena eine Podiumsdiskussion mit folgenden Expertinnen und Experten:
- Katharina Nocun: Publizistin, Podcasterin und Expertin zu Digitalisierung und Demokratie.
- Prof. Dr. Annett Heft: Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Tübingen und der FU Berlin sowie am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft.
- Andreas Speit: Diplom-Sozialökonom, freier Journalist und Publizist, Kolumnist der taz Nord und Rechtsextremismusexperte.
- Stefan Uecker: Leiter des Referats H III 1 – Wehrhafte Demokratie und Extremismusprävention im Bundesministerium des Innern und für Heimat.
Die Diskussion beleuchtete die strategische Nutzung digitaler Medien und künstlicher Intelligenz durch politische Akteure zur Verbreitung von Desinformationen und Verschwörungstheorien. Es wurden Mechanismen der Meinungsmanipulation erörtert und Ansätze diskutiert, gesellschaftliche und individuelle Resilienz zu stärken.
Im Anschluss an die Diskussionsrunde gab es einen Empfang.
Handlungsempfehlungen für Politik, Prävention und Gesellschaft
Die Ergebnisse des NEOVEX-Projekts zeigen, wie Verschwörungstheorien und rechtsextreme Ideologien entstehen, sich verbreiten und in Krisenzeiten gesellschaftliche Unsicherheit verstärken. Die Forschenden betonen, dass die Mechanismen der Manipulation zwar alt sind, jedoch durch digitale Medien und künstliche Intelligenz neue Dimensionen erreichen. Gleichzeitig konnten die Forscher:innen aufzeigen, dass Regulierung, Plattformpolitik und Medienkompetenz zentrale Hebel sind, um demokratische Resilienz zu stärken. Die Ergebnisse des NEOVEX-Projekts bieten Einblicke in die Funktionsweisen und Verbreitungswege von Verschwörungstheorien und rechtsextremen Ideologien. Sie liefern wichtige Handlungsempfehlungen für Politik, Prävention und Aufklärung sowie gesellschaftlichen Austausch.
Alle Ergebnisse sowie weiterführende Materialien, einschließlich eines Blogs und Podcasts, sind auf der Projektwebsite verfügbar.