Umstrittenes Putin-Interview: Einschätzungen von Dr. Tobias Fella

(c) Der ehemalige Fox News-Moderator Tucker Carlson während des Interviews mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. (c) dpa Picture Alliance | ASSOCIATED PRESS| Gavriil Grigorov

Das TV-Interview des rechtskonservativen US-Journalisten Tucker Carlson mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ist international auf scharfe Kritik gestoßen. Carlson wird vorgeworfen, journalistische Sorgfaltspflicht und Distanz vernachlässigt und Putin eine Plattform für seine Narrative geboten zu haben. Im Gespräch mit dem Nachrichtenportal web.de erklärt Dr. Tobias Fella, welches Kalkül seiner Ansicht nach hinter dem Interview steckte und welche Konsequenzen daraus folgen sollten.  

Nach Einschätzung Fellas ist das Interview zuallererst ein Akt der strategischen Kommunikation, aus der beide Seiten ihren Nutzen gezogen hätten. Für Carlson sei es vor allem darum gegangen, sich als Sprachrohr der Rechtskonservativen in den USA mit quasi-diplomatischer Funktion zu positionieren. Für Putin habe im Vordergrund gestanden, die konservativ-republikanischen Wähler:innen in den Vereinigten Staaten zu erreichen. Von diesen und ihrer Gallionsfigur Donald Trump erhoffe er sich mehr Entgegenkommen als von Vertreter:innen der progressiv-demokratischen  Anhängerschaft der Biden-Administration.
Für Fella rekurrierte der russische Präsident dabei zielgerichtet auf Spaltungen in den Gesellschaften der westlichen Staaten, indem er unter anderem auf die hohe Verschuldung der Vereinigten Staaten und die deutsche Energiesicherheit verwies und sie in den Kontext der westlichen Ukrainehilfen stellte. Dadurch knüpfte an die Erzählung an, wonach vermeintlich abgehobene westliche Eliten eine Politik der Schwerpunktsetzung im Ausland betreiben, anstatt innenpolitische Probleme zu beheben. In Konsequenz sprach Putin zu Gesellschaftssegmente in allen NATO-Staaten.

Der Politikwissenschaftler machte dabei deutlich, welches außenpolitische Verständnis den russischen Präsidenten leite. Für den Kreml fände Politik in einer Welt der Großmächte statt, in der nur wenige Akteur:innen „echte“ Souveränität ausübten. Dazu zählten unter anderem die Vereinigten Staaten, Russland und China. Auch aus diesem Grund wolle Moskau mit Washington über die Ukraine verhandeln, da Kiew für ihn keine eigenständige Entität sei, sondern ein „Mündel“ der USA.

Fella zufolge offenbarte das Interview zuletzt den Wandel der Vereinigten Staaten und hier vor allem der Republikanischen Partei. Vom Reaganschen Erbe eines kraftvollen Internationalismus habe sich die Grand Old Party zu einer Entität entwickelt, für die Weltmacht einem Selbstzweck nahekomme. Deutschland müsse sich darauf einstellen und auch den konservativen Teil der außenpolitischen Community der USA stärker als bislang zu berücksichtigen– aus Eigeninteresse.


Der Artikel „Experte über Putin-Interview: Das Entscheidende stand zwischen den Zeilen“ ist am 9. Februar 2024 auf web.de erschienen und hier abrufbar.