Die Bedrohungen von Frieden und Sicherheit sind in den letzten Jahren komplexer geworden. Um diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, ist unabhängige wissenschaftliche Expertise von großer Bedeutung. Dabei geht es um mehr als um die Bereitstellung wissenschaftlicher Evidenz. Die Friedens- und Sicherheitsforschung muss sich diesen Anforderungen stellen.
- Komplexe und sich wandelnde Problemlagen sind oft schwer zu fassen und zu deuten.
- Gerade die Friedens- und Sicherheitsforschung hat eine Orientierungsfunktion. Sie muss helfen, neue Probleme zu identifizieren und zu interpretieren und sie muss – wo nötig – eigene Akzente setzen.
- Das IFSH möchte gezielt Orientierungswissen anbieten und so gemeinsam mit Politik und Gesellschaft dabei helfen, Lösungen für aktuelle Probleme des friedlichen Zusammenlebens zu entwerfen.
Wir leben in einer Zeit tiefgreifender Verwerfungen und Krisen, die etablierte Formen der politischen Problembearbeitung vor große Herausforderungen stellt. Komplexe und sich wandelnde Problemlagen sind oft schwer zu identifizieren und zu deuten. Unter diesen Bedingungen kann die wissenschaftliche Expertise der Friedens- und Sicherheitsforschung eine Orientierungsfunktion anbieten – und so einen Beitrag zur Lösung drängender Probleme des friedlichen Zusammenlebens leisten.
Die Herausforderungen für Frieden und Sicherheit in der Welt sind in den letzten Jahren sichtbar gewachsen. Kriege und gewaltsame Konflikte dominieren die Medienberichterstattung. Alte Konflikte, die schon fast in Vergessenheit geraten waren, drängen wieder zurück auf die Tagesordnung. Internationale und regionale Institutionen der Friedenssicherung, wie die Vereinten Nationen oder die Europäische Union, stehen unter Druck. Grenzüberschreitende Herausforderungen wie der Klimawandel, Probleme staatlicher Fragilität oder andere Risiken, die vor Ländergrenzen nicht Halt machen, führen zu komplexen Verschränkungen politischer Ebenen und Felder. Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheitspolitik verblassen zusehends.
„DIE FRIEDENSFORSCHUNG LEISTET EINEN UNERSETZLICHEN BEITRAG ZUM VERSTÄNDNIS AKTUELLER HERAUSFORDERUNGEN.“
Unter diesen komplexen Bedingungen ist politisches Handeln mehr denn je abhängig von gesichertem Wissen. Gerade in Zeiten von fake news sind Einschätzungen unabhängiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unersetzlich, um politische und gesellschaftliche Debatten zu fundieren. Die Wissensbestände der Friedens- und Sicherheitsforschung werden daher heute immer häufiger nachgefragt. Welchen Beitrag können wir für die Analyse und Bewertung aktueller politischer Lagen und für die Legitimation demokratischer Entscheidungen leisten?
Forschung kann Orientierung stiften
In diesen unübersichtlichen Zeiten müssen die Erkenntnisse der Friedens- und Sicherheitsforschung Orientierung für politische und gesellschaftliche Akteure bieten. Gerade die Friedensforschung mit ihrer Fokussierung auf die Bedingungen friedlichen Zusammenlebens kann einen unersetzlichen Beitrag zu unserem Verständnis aktueller Herausforderungen leisten. Das gilt sowohl für das wachsende internationale Engagement Deutschlands in der Welt, wie auch – und dies zunehmend – für die Erosion gesellschaftlichen Zusammenhalts im deutschen wie europäischen Kontext.
Wir wissen aber, dass der Transfer wissenschaftlicher Expertise in die Politik kein linearer Prozess der Vermittlung neutraler Wissensbestände ist. Die Erkenntnisse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden häufig nur fragmentarisch und selektiv eingesetzt, vor allem um bestehende politische Überzeugungen und Programme zu untermauern und zu legitimieren (Weiss 1977, 1999). Wissenschaftliche Expertise soll hier möglichst passgenau zur Verknüpfung identifizierter Probleme und bereits bestehender Lösungsansätze beitragen. Aber gerade in Zeiten tiefgreifender Krisen und angesichts zunehmend komplexer Probleme verfehlt diese Form evidenzbasierter Politik oft ihr Ziel. Um politische Entscheidungsprozesse wissenschaftlich zu fundieren, braucht es Formen des Wissenstransfers, die mehr bieten als eine rein legitimierende und instrumentelle Nutzung wissenschaftlicher Expertise im politischen Prozess. Wie können diese aussehen?
Konzeptionelles Wissen vermitteln
Gerade die Friedens- und Sicherheitsforschung darf sich nicht darauf beschränken, nachfrageorientiert auf Rufe nach wissenschaftlicher Evidenz aus der Politik zu reagieren. Sie muss relevante Probleme und ihre Veränderungen eigenständig identifizieren und interpretieren, wissenschaftliche Evidenz im Kontext alternativer Deutungsmuster reflektieren und gesellschaftliche sowie politische Diskurse initiieren. Diese Formen konzeptionellen Wissens leisten einen zentralen Erkenntnisbeitrag wissenschaftlicher Forschung für Politik und Gesellschaft. Je unwägbarer und unübersichtlicher die politischen Problemlagen, desto wichtiger ist es, dass die Forschung diese Form des Wissens selbstbewusst vermittelt.
„WIR BRAUCHEN MEHR WISSENSTRANSFER IN DIE GESELLSCHAFT.“
In der Politik gilt oft der Grundsatz, dass diejenigen, die das Problem definieren, auch den Lösungsweg vorgeben. Wie wir die sich rapide verändernden Herausforderungen des Friedens und der Sicherheit begreifen und voneinander abgrenzen, wie wir sie hierarchisieren und bewerten können, all das steht heute grundsätzlich in Frage. Die Friedens- und Sicherheitsforschung muss hier einen wesentlichen Beitrag leisten, indem sie nicht nur Lösungen für erkannte Probleme generiert. Sie muss auch neue Begriffe und Konzepte bereitstellen, auf die wir in gesellschaftlichen Diskursen und politischen Debatten zurückgreifen können, um Probleme überhaupt erst zu erfassen und abzugrenzen, oder um ihre Dynamiken zu beschreiben und zu beobachten. Die Friedens- und Sicherheitsforschung kann so wesentlich dazu beitragen, nach neuen, vielleicht auch unorthodoxen, Lösungen zu suchen und sie muss die Zuschreibungen von Kompetenz und Verantwortung für die Behandlung komplexer Probleme kritisch beobachten.
Das IFSH im Dialog mit Politik und Gesellschaft
‚Klassische‘ Politikberatung versteht sich häufig als die Beratung von Fachministerien. Dominante Standpunkte formieren sich daher oft im kleinen Kreis etablierter Expertengremien. Die zunehmend komplexen Problemlagen unserer Zeit verlangen es aber, diese tradierten Formen der Wissensnutzung und Bereitstellung von Expertise zu überdenken. Wissenschaftliche Beratung der politischen Exekutive allein ist nicht mehr ausreichend. Stattdessen brauchen wir gleichermaßen Formen des Transfers wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Gesellschaften, deren Frieden und Sicherheit zur Debatte und nicht selten zur Disposition steht. Die Friedens- und Sicherheitsforschung hat hier eine gesellschaftliche Orientierungsfunktion in einem unübersichtlich gewordenen Feld. Wie aber die politische und praktische Bedeutung unserer Forschung auch der breiteren Öffentlichkeit vermittelt werden kann, ist für die Wissenschaft eine Herausforderung.
Das IFSH stellt sich dieser Herausforderung. Wir werden neue Formen des Wissenstransfers entwickeln und verstärkt neue Zielgruppen ansprechen. Um zu aktuellen friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen zeitnahe und fundierte Einschätzungen zu bieten, stellen wir in unserem neuen Publikationsformat, den policy briefs, kurze, präzise und engagierte Beiträge aus der Forschung für Politik und Gesellschaft bereit. Diese Kurzdossiers kombinieren solide wissenschaftsbasierte Expertisen mit Empfehlungen für Politiker und Politikerinnen und Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Wir wollen Erkenntnisse aus der Forschung aber nicht nur weitergeben, sondern engagiert in den Dialog treten und hierdurch Fragen aus Gesellschaft und Politik in unsere Forschung zurückfließen lassen. Mit unserem Wissen möchten wir Debatten anstoßen, die helfen, die neuen globalen und regionalen Herausforderungen zu meistern.