Das Genfer Interimsabkommen mit dem Iran: Eröffnen kleine Schritte die Chance für eine große Lösung ?

27.11.2013

Michael Brzoska und Götz Neuneck

Nach vier Tagen intensiver Verhandlungen in Genf einigten sich die fünf UN-Vetomächte und Deutschland (E3+3 Gruppe) unter der Leitung der EU-Außenbeauftragten Lady Ashton in der Nacht zum 24. November 2013 mit dem Iran auf einen „gemeinsamen Aktionsplan“ zur Lösung des iranischen Nuklearproblems. Die Außenminister der USA, Russlands, Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands waren zum zweiten Mal persönlich angereist, um die Verhandlungen zum Abschluss zu bringen. Das Abkommen wurde nachts um 3 Uhr im Palais des Nations in Genf unterzeichnet. Die Anwesenheit von sieben Außenministern unterstreicht die hohe Bedeutung dieses Konflikts, der seit mehr als zehn Jahren die internationale Diplomatie beschäftigt und die Zukunft des Nichtverbreitungsvertrags (NVV) belastet. In der Region drohten ein nukleares Wettrüsten und eine neue militärische Konfrontation. Erstmals gibt es nun ein verbindliches Abkommen mit dem Iran, das auch helfen kann, seine Beziehungen mit den USA zu normalisieren und für mehr Stabilität in der Region zu sorgen. Es sind aber noch einige innenpolitische Klippen in den USA und im Iran zu überwinden, bevor ein dauerhaftes Abkommen wirksam werden kann.

 

Die Genfer Verhandlungen

Das Ziel der komplizierten Gespräche in Genf war klar: Der Westen will den Iran dauerhaft davon abhalten Nuklearwaffen zu bauen. Zwar hatte die iranische Führung stets bestritten, ein militärisches Nuklearprogramm zu betreiben, doch der stete Ausbau der nukleartechnischen Kapazitäten, Inkonsistenzen der Meldungen an die IAEO und die provokative Rhetorik des Rohani-Vorgängers Ahmadinedschad nährten die Befürchtung im Westen, die islamische Republik habe die Absicht, sich Nuklearwaffen zuzulegen. Die neu gewählte iranische Regierung unter Hassan Rohani wollte die Aufhebung der Sanktionen erreichen, die die wirtschaftliche Situation im Iran zunehmend verschlechtern. Rohanis überraschender Wahlsieg im Juni ist auch auf dieses Wahlversprechen zurückzuführen. Gleichzeitig wollte Iran das Recht auf Urananreicherung für die zivile Nutzung der Kernenergie bescheinigt bekommen – ein Recht, das dem Iran als Mitglied des NVV prinzipiell zusteht, aber aufgrund ungeklärter nuklearer Aktivitäten des Irans von vielen Staaten, einschließlich der Mitglieder des VN-Sicherheitsrates bestritten wurde.

Die Probleme beider Seiten sind nicht endgültig gelöst, aber es ist ein erster, vielleicht historischer Schritt gemacht worden. Das Genfer Abkommen sieht vor, dass das iranische Nuklearprogramm zunächst für sechs Monate in Teilen eingefroren und in anderen sogar zurückgefahren wird. Einige besonders kritische Orte sollen durch IAEO-Inspektionen überwacht werden. Einzelne Sanktionen werden im Gegenzug aufgehoben. Beiden Seiten ist klar, dass dieses Abkommen nur ein erster Schritt ist. Die Diplomatie muss die nächsten Monate nutzen, um am Ende eine „dauerhafte und umfassende Lösung“ für die Begrenzung und Kontrolle des Nuklearprogramms zu erarbeiten, das die ausschließlich zivile Nutzung der Kernenergie garantiert. Die IAEA überwacht den Prozess und die Verhandlungspartner richten eine Arbeitsgruppe ein, um die Implementierung zu begleiten. Die avisierten Schritte können zurückgenommen werden, wenn eine Seite sich nicht an die Abmachungen hält. Die schrittweise Lockerung der Sanktionen der EU und der USA ist kein leichtes Unterfangen, zumal Auflagen des UN-Sicherheitsrates weiterhin gelten. Der Widerstand im US-Kongress wird für die Obama-Administration nicht leicht zu überwinden sein. Einige konservative Senatoren wollen das iranische Nuklearprogramm gänzlich unterbinden und votieren offen für einen Regimewechsel in Teheran. Auch Präsident Rohani hat Widerstand im eigenen Land zu erwarten: Seine Widersacher werden sich gegen tiefgreifende IAEA-Inspektionen und Einschränkungen des Nuklearprogramms wenden.

 

Lob und Kritik

Weltweit wurde der Kompromiss mit Erleichterung aufgenommen. Präsident Obama unterstrich, dass das Abkommen eine Zukunft ermögliche „in der wir überprüfen können, ob das iranische Nuklearprogramm friedlich ist und der Iran keine Nuklearwaffen bauen kann“. Der oberste geistliche Führer Khamenei gab per Twitter seinen Segen und für Präsident Rohani, der gerade knapp 100 Tage im Amt ist, ist das Abkommen ein wichtiger Schritt. Für den scheidenden Bundesaußenminister Westerwelle ist das Abkommen ein Erfolg. Die Koordinations- und Vermittlungspolitik der EU durch Lady Ashton und ihr Team, das gleich mit mindestens sechs Hauptstädten Rücksprache halten musste, war letztlich erfolgreich.

 

Insbesondere im Mittleren Osten wurde jedoch auch harsche Kritik laut. Israels Premierminister Netanjahu bezeichnete das Abkommen als einen „historischen Fehler“. Skeptische Stimmen sind aus Saudi-Arabien und weiteren Golfstaaten zu vernehmen. Hier überwiegt die Furcht, dass das Nuklearprogramm nicht vollständig gestoppt wurde. Auch herrscht Angst, der Iran könne zu einer regionalen Hegemonialmacht werden. Die besonnenen Politiker der Region wissen aber auch, dass eine Maximalposition nicht durchzusetzen ist und dass „Gesichtswahrung“ ein wichtiger Faktor in der arabischen Welt ist. 

 

Die Kritiker haben zwar mit der Behauptung recht, dass dem Iran in Genf nicht die technischen Möglichkeiten Atombomben zu bauen abgehandelt wurden. Die Urananreicherungskapazitäten bleiben in Betrieb. Das Ende jeglicher Urananreicherung im Iran war aber auch weder eine politisch realistische noch eine rechtlich haltbare Forderung. Schließlich garantiert der NVV das Recht auf zivile Nutzung der Atomenergie. Der Iran hat aber einige Konzessionen gemacht, durch die der Zeitbedarf für den Bau einer Atomwaffe, sollte eine solche Entscheidung im Iran getroffen werden, wächst. Insbesondere werden die Bestände an auf 20 Prozent angereichertes Uran abgebaut. Zudem wird die Kapazität zur Urananreicherung eingefroren.

 

Wesentliche Inhalte des Genfer Interimsabkommens 

Im Einzelnen sieht das Abkommen Folgendes vor: Iran verzichtet in den kommenden sechs Monaten auf die Urananreicherung über fünf Prozent und wandelt die bereits angehäuften 200 kg des zu 20 Prozent angereicherten Urans zur Hälfte in fünfprozentiges Uran und in Uranoxid um. Das vorhandene Material ist besonders proliferationsrelevant, da ca. 240 kg im Prinzip zum Bau einer Atombombe ausreichen und innerhalb kurzer Zeit in Waffenmaterial umgewandelt werden können. Das „Ausbruchspotenzial“ des Iran würde also signifikant verkleinert. Weiterhin werden in Natanz und Fordow keine neuen Zentrifugen und keine weiteren Kaskaden von Zentrifugen installiert und so der Ausbau der Urananreicherung gestoppt. Auch die Arbeiten an wesentlichen Komponenten des im Bau befindlichen Reaktors in Arak sollen ruhen. Der Iran übergibt der IAEA innerhalb von drei Monaten ausführliche Informationen über alle ihre Nuklearanlagen von der Uranerzgewinnung bis zur Brennstoffproduktion und arbeitet mit der IAEA einen Safeguards-Plan aus. All diese Anlagen sollen im Prinzip täglich von IAEA-Inspekteuren umfassend kontrolliert werden. So werden auch Kontrollen der Zentrifugenproduktion und der Uranminen möglich. Damit gewinnen die IAEA und die internationale Gemeinschaft ein umfassendes Bild des iranischen Nuklearkreislaufs. Funktioniert dieses Modell, wäre dies eine Stärkung des Sicherungs- und Überprüfungssystems der IAEA. Die von den westlichen Staaten geforderten umfassenden Inspektionsrechte hat der Iran allerdings nicht zugestanden. Die Unterzeichnung und Anwendung des entsprechenden Zusatzprotokolls der IAEA ist Gegenstand der weiteren Verhandlungen.

 

Im Gegenzug sollen die EU und der UN-Sicherheitsrat keine neuen Sanktionen gegen den Iran verhängen. Das Land kann wieder auf eingefrorene Guthaben von 4,2 Milliarden US-Dollar aus seinen Ölverkäufen zugreifen, petrochemische Produkte exportieren und mit Gold und Edelmetallen handeln. Auch werden die Sanktionen gegen die iranische Autoindustrie und den Import von Flugzeug­ersatzteilen gelockert. Sanktionen gegen den Öl- und Finanzsektor bleiben zwar zunächst generell gültig, die USA und die EU verpflichten sich aber, den iranischen Ölexport in andere Länder nicht weiter zu torpedieren und Finanzierungswege für „humanitären Handel“, also von Nahrungs- und Landwirtschaftsgütern, aber auch von Medizinprodukten, möglich zu machen. Dies kann der gebeutelten Bevölkerung und damit der Regierung Rohani zugutekommen. Allerdings dürften die unmittelbaren wirtschaftlichen Wirkungen nicht sehr groß sein. Zum einen wird die Umsetzung der Vereinbarung von Genf Zeit brauchen, zum anderen bleiben die materiell wichtigsten Sanktionen bestehen. Die bedeutendsten Wirkungen der Sanktionsbeschlüsse dürften psychologische sein: Sie eröffnen die Hoffnung, dass der wirtschaftliche Abwärtstrend im Iran gebrochen werden kann und sich die Lage 2014 langsam bessert. Voraussetzung dafür ist aber der Abbau weiterer Sanktionen, insbesondere im Bereich der Ölexporte und Finanzen. Die Kritiker des Abkommens im US-Kongress werden aber auch nicht ruhen, um diese Schritte für Obama so schwer wie möglich zu machen.

 

Bewertung

Im Wesentlichen ermöglicht das Interimsabkommen durch beiderseitige kleinere materielle Entgegenkommen vertrauensbildende Schritte, deren kontinuierliche Überprüfung durch die IAEA gewährleistet und verstärkt werden soll. Damit soll die Grundlage für eine „umfassende Lösung“ der iranischen Nuklearproblematik in der zweiten Phase gelegt werden. Dieser nächste Schritt verlangt, wie US-Außenminister Kerry es ausdrückte, „harte Arbeit“. Der Genfer Kompromiss enthält bereits die Eckpunkte für ein längerfristiges Abkommen, das innerhalb eines Jahres auszuhandeln und teilweise zu erproben ist. Hierin sollen die Rahmendaten und die künftige Begrenzung und Überwachung der Urananreicherung und die Zukunft der Wiederaufarbeitung, die sich durch die Inbetriebnahme des Arak-Reaktors ergibt, festgelegt werden. Bisher verfügt der Iran nur über ein „Break-out“-Potenzial auf dem Uransektor. Nun soll der alternative Plutonium-Pfad, der sich durch eine mögliche Wieder­aufarbeitung ergibt, ausgeschlossen werden. Auch besteht die Erwartung, dass der Iran das sogenannte Zusatzprotokoll ratifiziert und implementiert, das der IAEA dauerhafte Inspektionsrechte erteilt. Beide Seiten haben nicht alles erreicht, was sie wollten. Aber indem sie Kompromissbereitschaft gezeigt haben, ermöglichen sie einen Prozess, der für weitere Vertrauensbildung genutzt werden kann. Der Weg zur abschließenden Lösung des Konflikts ist in der Interimsphase bereits deutlich sichtbar angelegt: Dem Iran wird im Prinzip das Recht auf die friedliche Nutzung der Nuklearenergie zugestanden, allerdings mit Einschränkungen, die das Ausbrechen in ein militärisches Programm schwierig machen.

Bei aller Konzentration auf die Details gerät die längerfristige Perspektive eines erfolgreich umgesetzten Abkommens mit dem Iran oft zunächst in den Hintergrund. Die Normalisierung zwischen den USA und Iran hätte verschiedene positive Aspekte. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit käme der Stabilität in der Region z.B. in Bezug auf den syrischen Bürgerkrieg zugute. Sollte Syrien seine Chemiewaffen vollständig vernichten und ein nuklearer Wettlauf im Mittleren Osten verhindert werden, so könnten sich die Rahmenbedingungen zur Errichtung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Mittleren Osten erheblich verbessern – ein wichtiger Schritt für die nächste NVV-Überprüfungskonferenz 2015. Dies hätte auch mittelfristig einen großen Einfluss auf die europäische Sicherheitspolitik. Eine umfassende Raketenabwehr für die NATO, die ein Stein des Anstoßes für Russland ist, wäre dann nicht mehr mit einer iranischen nuklearen Bedrohung legitimierbar und daher überflüssig. Die Nordatlantische Allianz könnte sich auf nukleare Abrüstung konzentrieren statt gegen potenzielle nukleare Aufrüstung vorgehen zu müssen.

Kontakt: Michael Brzoska / Götz Neuneck