Früchte der Entspannungspolitik: Wie das IFSH den akademischen Austausch mit Osteuropa und Eurasien in Schwung brachte
Denkt man an die Zeit des Kalten Krieges so wird klar: Akademischer Austausch mit Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist keine Selbstverständlichkeit. Es bedurfte vielfältiger Entspannungs- und Dialogbemühungen zwischen den Staaten der NATO und des Warschauer Paktes, um Wege zum freien zivilgesellschaftlichen Austausch zu bahnen. Das IFSH-Konzept der kooperativen Rüstungssteuerung und die der Entspannungspolitik zugrundeliegende Idee des Wandels durch Annäherung waren wichtige Schritte auf diesem Weg. Aber auch nach dem Zerfall der Sowjetunion bedurfte es anhaltender Bemühungen, um eine paneuropäische Kooperation zu entwickeln. Das Zentrum für OSZE-Forschung am IFSH, kurz CORE, und vielfältige weitere Institutsaktivitäten, die den akademischen Austausch mit dem postsowjetischen Raum stärkten, trugen dazu bei Brücken zu bauen. Blickt man im Jahr 2021 auf die Landkarte der Kooperationsbeziehungen des IFSH, so erkennt man viele Linien vom Institut in diese Region.
Der Austausch eröffnete neue Perspektiven
Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am IFSH begleite ich seit 1990 das Ost-West-Verhältnis mit seinen Kontinuitäten und seinem Wandel. Ich pflege unter anderem den akademischen Austausch mit Wissenschaftler*innen und Studierenden aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion. Dabei entstanden vielfältige spannende Kontakte bis hin zu langjährigen persönlichen Freundschaften mit Kolleg*innen aus Armenien, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Usbekistan und Tadschikistan. Deren waches Interesse an der Friedensforschung und ihr Engagement für Zusammenarbeit haben mir und auch anderen IFSH-Kolleg*innen neue Welten eröffnet.
In den 1990er Jahren stand der Gedanke der Öffnung im Vordergrund. Bereits 1992 hielt meine damalige IFSH-Forschungsgruppe „Osteuropa“ die damals erste paneuropäische Konferenz mit Vertreter*innen aus sieben neuen unabhängigen Staaten ab. Zwischen 1995 und 1997 arbeitete ich erstmals mit einem russischen Kollegen an einem gemeinsamen Forschungsprojekt. Seither kooperiert nicht nur dieser Wissenschaftler in vielen IFSH-Projekten, viele weitere Kolleg*innen sind dazu gekommen und bereichern die IFSH-Forschung.
Seit der Jahrtausendwende rückten der Aufbau akademischer Kapazitäten und der Studierendenaustausch in den Blick. Das OSZE-Forschungszentrum am IFSH (Centre for OSCE Research, CORE) erhielt einen Auftrag federführend an der Gründung einer OSZE-Akademie in Bischkek mit zu wirken. Nach der Verständigung der Gruppe der fördernden OSZE-Delegationen und der zentralasiatischen Delegationen, besuchte die Bildungsministerin Kirgisistans das Institut und besprach die Vereinbarung (https://ifsh.de/file-CORE/documents/jahrbuch/03/Evers.pdf). In den ersten Jahren des Bestehens der Akademie waren IFSH-Mitarbeiter*innen vor allem an der Entwicklung des Lehrplans, an der Lehre und am Fundraising beteiligt. Schritt für Schritt übernahmen dann regionale Dozent*innen diese Aufgaben. Dank steter finanzieller Unterstützung durch OSZE-Teilnehmerstaaten ist die OSZE-Akademie heute eine geschätzte Einrichtung in der zentralasiatischen Bildungslandschaft. Weitere finanzielle Förderungen durch die OSZE und den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) ermöglichten mir ab 2007 mehrere Sommerschulen an kasachischen, georgischen, armenischen und kirgisischen Universitäten durchzuführen und an der Deutsch-Kasachischen Universität zu lehren.
Offiziere bekamen Einblick in die Arbeit eines Friedensforschungsinstituts
Das IFSH betreute aber auch das Baudissin Fellowship-Programm (gefördert vom Bundesverteidigungsministerium). Hier erhielten Offiziere aus den ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten Stipendien für einen Aufenthalt am IFSH, bei dem sie sich vor allem mit dem Bundeswehr-Konzept der „Inneren Führung“ auseinandersetzten. Das IFSH beteiligte sich auch am Cross Culture-Programm des Instituts für Auslandsbeziehungen, das Gästen aus dem postsowjetischen Raum Studienaufenthalte zur Friedensforschung in Hamburg ermöglichte. Schließlich konnte ich zusammen mit einer Kollegin vom Centre for Peace Studies an der Arktischen Universität Tromsø Mittel des norwegischen Zentrums für Bildungskooperation einwerben. Mit dem damit verwirklichten Netzwerk Eurasia Peace Studies Exchange (2017-2019) konnten wir zeitgemäße neue Formen des akademischen Austauschs zwischen Europa und Eurasien entwickeln. Nun ging es nicht mehr nur um europäisches Wissen, sondern darum auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren und voneinander zu lernen. Dozent*innen und Studierende aus Georgien, Deutschland, Kirgisistan, Norwegen und der Ukraine bestimmten gemeinsam was sie voneinander lernen wollten und setzten es in Projektwochen und vielen Forschungsaufenthalten vor Ort um.
Aus der Perspektive der Friedensforschung stimmt der aktuelle lebendige akademische Austausch in und mit dem postsowjetischen Raum hoffnungsvoll. In den vergangenen Jahren zeichnen sich in der Region aber autoritäre Tendenzen ab. Autokratische Regierungen drohen den Dialog und die Zusammenarbeit zu begrenzen. Deshalb ist es umso wichtiger, Kontakte nicht abreißen zu lassen und gemeinsam an Friedensforschung in Europa und Eurasien weiter zu arbeiten.
Die Autorin Dr. Anna Kreikemeyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im IFSH-Forschungsbereich Europäische Friedens- und Sicherheitsordnungen.