Trotz Angriffskrieg Kontakt zu Russland halten

Neue IFSH-Kurzanalyse von Dr. habil. Cornelius Friesendorf

(c) dpa picture alliance | Artur Widak


Vor einem Jahr hat Russland mit seinem Angriff auf die Ukraine den größten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Westliche Staaten haben mit massiven Wirtschaftssanktionen, Abschreckung, Aufrüstung und Militärhilfe an die Ukraine geantwortet. Dies ist angesichts von Putins Revisionismus richtig.

Die Empörung über Russlands Krieg führt aber auch dazu, dass Kontakte zu Russland unter Generalverdacht stehen, Putins Regime zu stärken und damit die Ukraine zu schwächen. So hat Polen Olaf Scholz dafür kritisiert, mit Wladimir Putin zu telefonieren und dem russischen Außenminister ein Visum für ein Ministerratstreffen verweigert. Westliche Forschungseinrichtungen haben die Wissenschaftskooperation mit Russland beendet.

Es ist aber nicht klug, alle Kontakte zu Russland abzubrechen. EU- und NATO-Staaten sollten weiterhin mit Russland kommunizieren – bilateral, innerhalb von internationalen Organisationen und gesellschaftlich.

Bilaterale politische und militärische Kommunikationskanäle zu Moskau sind nötig, um Fehlwahrnehmungen und damit einer ungewollten Eskalation bis hin zum Nuklearkrieg vorzubeugen, insbesondere einer direkten Konfrontation zwischen Russland und der NATO. So senden westliche Staaten durch Waffenlieferungen oder Sanktionen Signale an Moskau, die sie in Gesprächen mit Moskau erklären können. Aus dem Kalten Krieg, besonders aus der Kubakrise von 1962, wissen wir, dass Signale an den Gegner abgewogen werden müssen, um diesen nicht zur Eskalation zu provozieren. Gesprächskanäle dienen auch dazu, um rote Linien zu zeichnen. So haben die USA Russland mit „katastrophalen Konsequenzen“ im Falle eines russischen Atomwaffeneinsatzes gedroht.

Westliche Staaten sollten auch Kontakt zu Russland innerhalb von internationalen Organisationen halten. Es mag in Einzelfällen gerechtfertigt sein, Russland aus internationalen Gremien auszuschließen, notorischen Propagandist:innen keine Visa zu erteilen oder  den Raum zu verlassen, wenn russische Diplomat:innen sprechen. Solche Schritte sollten aber weiterhin die Ausnahmen bleiben. Viele internationale Organisationen sind keine Clubs von Demokratien, sondern schließen Diktaturen wie Russland ein. Damit bieten sie die Chance, Russland mit den eigenen Verbrechen zu konfrontieren und so internationale Normen wie territoriale Unversehrtheit zu stärken. Ein Ausschluss Russlands aus internationalen Organisationen (wie etwa von der Ukraine im Rahmen der OSZE gefordert) bedeutet auch, weniger Foren zu haben, um über Themen wie den Klimawandel verhandeln zu können, für die es Russland braucht.

Weiterhin sind gesellschaftliche Kontakte nötig. So trug Austausch zwischen Wissenschaftler:innen der USA und Sowjetunion zu Rüstungskontrollabkommen wie dem IFN-Vertrag von 1987 bei. Zwar kann die russische Zivilgesellschaft nicht zuletzt wegen Putins Repressionsapparat den Krieg nicht beenden. Westliche Staaten können die Chancen für innergesellschaftliche Veränderung durch den Austausch von Wissen und Ideen aber mittel- und langfristig erhöhen. Dies erfordert Kreativität, um z.B. den wissenschaftlichen Austausch wieder in Gang zu bringen, ohne staatsnahe russische Institutionen zu finanzieren.

Natürlich ist es schwierig, mit Russland zu kommunizieren. Die russische Regierung lügt systematisch. Russische Narrative, der Westen wolle Russland zerstören oder Russland kämpfe wieder gegen den Faschismus, sind abstrus und angesichts des Leids in der Ukraine schwer erträglich. Vertrauen ist aber keine Voraussetzung für Gespräche, sondern das Ziel.

Kommunikation mit einer sich gekränkt fühlenden Atommacht ist also kein gesinnungsethisches Appeasement, sondern verantwortungsethischer Pragmatismus. Allerdings sollten sich westliche Staaten in ihrer Kommunikationsstrategie gegenüber Russland eng miteinander und mit der Ukraine abstimmen, damit der Kreml keine Keile in die pro-ukrainische Allianz treiben kann.

Dr. habil. Cornelius Friesendorf ist Wissenschaftlicher Referent und Leiter des Zentrums für OSZE-Forschung (CORE) am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).