Liberale Friedensstrategien, die auf einen nachhaltigen Frieden durch zwischengesellschaftliche Vernetzung und innergesellschaftliche Demokratisierung setzen, haben gerade in Deutschland eine lange Tradition. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine stehen Ansätze in dieser Tradition verstärkt in der Kritik. Sie gelten in der öffentlichen Debatte oftmals als überholt oder realitätsblind. Das Scheitern des Einsatzes in Afghanistan hat zudem die grundlegende Skepsis gegenüber Versuchen der externen Demokratieförderung weiter befeuert.
In ihrem Beitrag für die Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung nehmen Dr. Hendrik Hegemann und PD Dr. Martin Kahl die aktuelle Diskussion um den Umgang mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Anlass, um grundsätzlich die Möglichkeiten und Grenzen liberaler Friedensstrategien zu erörtern. Sie argumentieren, dass die Friedensforschung weiterhin an ihrem Anspruch festhalten sollte, Strategien für einen nachhaltigen Frieden aufzuzeigen, der über reine Abschreckung bzw. das Denken in festen Blöcken hinausreicht. Sie sollte deshalb ihre bisherigen Erkenntnisse zu Friedensbedingungen nicht vollends über Bord werfen und weiterhin auch die innere Verfasstheit der beteiligten Staaten und ihrer Gesellschaften im Blick behalten. Der russische Angriff auf die Ukraine verdeutliche gerade, wie das Fehlen demokratischer Kontrollinstanzen und die Abschottung autokratischer Führungen die Eskalation militärischer Konflikte befördere und den Frieden unterminiere, so die Autoren. Ihr Beitrag diskutiert, wie und inwieweit sich die Grundannahmen und zentralen empirischen Erkenntnisse liberaler Friedenstheorie weiterhin auf den Umgang mit Russland und anderen revanchistischen Autokratien anwenden lassen. Im Sinne einer kritischen Selbstreflexion der Friedensforschung erörtert er auch die Grenzen liberaler Friedensstrategien und bettet dies in Debatten über eine breitere Krise liberaler Ansätze und die Lehren internationaler Demokratieförderung der Vergangenheit ein.
Den Beitrag können Sie frei verfügbar hier lesen: https://link.springer.com/article/10.1007/s42597-023-00096-w
Hegemann, Hendrik, Martin Kahl. 2023.
Weniger Demokratie wagen? Möglichkeiten und Grenzen liberaler Friedensstrategien nach der Zeitenwende.
Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung DOI: 10.1007/s42597-023-00096-w.