Das Konzept der Inneren Führung ist Wertefundament und Selbstverständnis der Bundeswehr zugleich: Es begreift die Bundeswehrsoldat*innen als „Staatsbürger*innen in Uniform“, die den Normen und Werten des Grundgesetzes besonders verpflichtet sind. Welche Bedeutung hat dieses Leitbild, das in der Nachkriegszeit von Wolf Graf von Baudissin entworfen wurde, noch für die Bundeswehr von heute? Wie passen Auslandseinsätze, rechtsextreme Vorfälle und der Einsatz autonomer Waffen mit den Grundsätzen der Inneren Führung zusammen und welche Anpassungen braucht es? Um diese Fragen ging es während einer gemeinsamen Veranstaltung der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung und des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Das Event wurde per Livestream aus den Räumlichkeiten der neuen Ausstellung „Schmidt! Demokratie leben“ in Hamburg übertragen. Gastrednerin des Abends war die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags Dr. Eva Högl.
Auf den Spuren der biografischen und historischen Hintergründe
Die Historikerin und Baudissin-Biografin Prof. Dr. Dagmar Bussiek und Dr. Magnus Koch (Leiter des Arbeitsbereichs Ausstellungen und Geschichte der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung) blickten zunächst auf die Geschichte und historischen Wurzeln des Leitbilds zurück. Sie zeigten auf, welche biografischen Prägungen Wolf Graf von Baudissin und Helmut Schmidt zu Verfechtern demokratisch geprägter Streitkräfte machten.
Von Baudissin und Schmidt: Zwei zentrale Wegbereiter des Konzepts
Wolf Graf von Baudissin, der Gründungsdirektor des IFSH, hatte in den 1950er-Jahren das Konzept der Inneren Führung entworfen, um die junge Bundeswehr elementar von der nationalsozialistischen Wehrmacht abzugrenzen. Helmut Schmidt trug bereits lange vor seiner Zeit als Verteidigungsminister mit großem Engagement zur Umsetzung des Konzepts bei; er galt als vehementer Verfechter einer Bundeswehr, die fest in der Gesellschaft verankert ist.
Unter der Moderation von Dr. Meik Woyke, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung, und IFSH-Direktorin Prof. Dr. Ursula Schröder diskutierten anschließend Dr. Eva Högl, Dr. Hendrik Hegemann (Referent im Forschungsbereich Gesellschaftlicher Frieden und Innere Sicherheit am IFSH) und Prof. Dr. Stefan Bayer (stellvertretender Leiter des German Institute for Defence and Strategic Studies GIDS) über die aktuellen Herausforderungen im Truppenalltag und ihre Vereinbarkeit mit dem Leitbild der Inneren Führung.
„Rote Linien dürfen nicht überschritten werden“, Dr. Eva Högl
Das Konzept der Inneren Führung sei kein „nice to have“, sondern noch immer unbedingte Voraussetzung für den Einsatz der Bundeswehr, sagte Eva Högl. In der jüngsten Vergangenheit hatten immer wieder rechtsextreme Vorfälle in der Truppe für Schlagzeilen gesorgt, darunter auch in der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK). Diese Fälle zeigen, dass wir Handlungsbedarf haben, so die Wehrbeauf-tragte. Sie stellte klar: Die Meinungsfreiheit eines Einzelnen ende dort, wo er den Boden des Grundgesetzes verlasse und sich mit seiner Äußerung gegen die Verfassung stelle. Politische Bildung, Aufklärung und eine offene Kommunikation seien von großer Bedeutung, um weitere rechtsextreme Vorfälle in der Truppe zu verhindern. Die Bundeswehr sei hier bereits sehr aktiv, sagte Högl und verwies unter anderem auf die Verabschiedung eines Leitfadens für die Kommunikation in den sozialen Medien.
„Wir brauchen eine zeitgemäße Sprache, um das Konzept auch jungen Rekrut*innen nahezubringen“, Dr. Eva Högl
Welche Folgen hat die Abschaffung der Wehrpflicht auf die praktische Umsetzung des Konzepts der Inneren Führung? Ist sie ein Grund für das Auftreten rechtsextremer Vorfälle, weil die neue Bundeswehr vermeintlich vermehrt Personen anzieht, die zu autoritärem und rechtsextremem Gedankengut neigen? Nein, erklärte Prof. Dr. Stefan Bayer, stellvertretender Leiter des GIDS. Zumindest im Offizierskorps stelle er keine gravierenden Auswirkungen fest. Ähnlich wie bei anderen Großorganisationen wie etwa der Polizei ließen sich solche Einflüsse nicht gänzlich reduzieren. Allerdings plädierte er eindringlich dafür, „solche Damen und Herren“ sofort aus dem Dienst zu entfernen und militärische Karrieren nach einem rechtsextremen Vorfall zu beenden.
„Groß denken, klein handeln“, Dr. Hendrik Hegemann
Dr. Hendrik Hegemann, Wissenschaftlicher Referent am IFSH, verwies auf die Armeen anderer Länder. Ein Vergleich zeige, dass eine Freiwilligen- oder eine Wehrpflichtigenarmee nicht per se zu mehr Problemen führe. Der Friedensforscher sprach sich dafür aus, das Konzept der Inneren Führung weiter zu denken und es als Rückgrat und Basis für eine funktionierende Demokratie zu begreifen. Die Verteidigung und Vitalisierung demokratischer Strukturen sei vor allem dort wichtig, wo demokratische Strukturen in Gesellschaften unter Druck stünden. Die Idee der Inneren Führung sei nicht nur Verteidigungs-, sondern Demokratiepolitik, so Hegemann.
Einen Mitschnitt der Veranstaltung „Streitkräfte für den Frieden. Geschichte und Aktualität der Inneren Führung der Bundeswehr“ vom 27. Oktober 2021 finden Sie hier.
Für das IFSH fand die Veranstaltung im Rahmen seiner Jubiläumsfeierlichkeiten statt. Wolf Graf von Baudissin, der Urheber des Konzepts der Inneren Führung, war der Gründungsdirektor des IFSH. Der General prägte den Aufbau des Instituts maßgeblich mit. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des IFSH hat die Historikerin Prof. Dr. Dagmar Bussiek eine Biografie über Wolf Graf von Baudissin geschrieben: „Dem Frieden verpflichtet. Wolf Graf von Baudissin (1907-1993)“. Mehr dazu erfahren Sie hier.