Feministische Außenpolitik verspricht nachhaltigere Abrüstung und Rüstungskontrolle, weil sie diskriminierende Machtstrukturen aufdeckt und sich an den Bedürfnissen marginalisierter Gruppen ausrichtet. Konsequent angewendet, kann sie ein Gegengewicht zu Abschreckung und Aufrüstung sein. Für die Umsetzung ihrer feministischen Leitlinien in der Außenpolitik muss die Bundesregierung
- sich stärker für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen, Alternativen zu nuklearer Abschreckung finden und die Folgen von Atomwaffentests inklusiv bearbeiten,
- künstliche Intelligenz in Waffensystemen kritisch hinterfragen und nicht-diskriminierende Technikentwicklung fördern sowie
- internationale Foren der Rüstungskontrolle so gestalten, dass marginalisierte Akteur:innen sichtbarer werden und mehr Einfluss nehmen können.
Das Auswärtige Amt hat im Jahr 2023 zehn Leitlinien für eine feministische Außenpolitik formuliert. Ziel ist es, Frauen und andere marginalisierte Gruppen mehr in die Außenpolitik einzubeziehen und deren Rechte zu stärken. Feministische Prinzipien sollen laut Auswärtigem Amt auch in der deutschen Rüstungskontrollpolitik zur Anwendung kommen. Hier sind sie allerdings noch nicht deutlich genug ausformuliert und wurden in der Praxis bislang nur halbherzig umgesetzt. Dies gilt sowohl für den Bereich der Atomwaffen als auch für neue Technologien wie Künstliche Intelligenz in Waffensystemen.
FEMINISTISCHE AUSSENPOLITIK: CHANCE FÜR DIE RÜSTUNGSKONTROLLE
Feministische Außenpolitik (FAP) strebt eine friedlichere und gerechtere Welt an. Sie betont die menschliche Sicherheit sowie inklusive Teilhabe und will komplexe Krisen ganzheitlich bewältigen. Diesem inklusiven und transformativen Ansatz folgen auch die zehn Leitlinien feministischer Außenpolitik, die das Auswärtige Amt (AA) 2023 veröffentlicht hat.1 FAP soll Frauen und andere marginalisierte Gruppen stärker in die Außenpoitik einbeziehen, ihre Rechte stärken und ihre Möglichkeiten verbessern, diese Rechte auch einzufordern. Innerhalb der vielen feministischen Strömungen folgt die FAP des AA einem intersektionalen Verständnis. Das heißt: Es geht nicht nur um Rechte von Frauen oder die Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern um eine breitere und unter anderem ökologisch und dekolonial inspirierte Perspektive. FAP nimmt in den Blick, wer von einer politischen Entscheidung wie betroffen ist, welche Machtstrukturen diese Entscheidung begünstigen und wie ungerechte Strukturen aufgelöst werden können.
„ATOMWAFFEN SIND AUSDRUCK PATRIACHALER MACHTSTRUKTUREN"
Auch wenn FAP nicht zwangsläufig pazifistisch ist, so ist doch eines ihrer Ziele die Demilitarisierung. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind wichtige Instrumente, um Konflikte zu entschärfen und zu deeskalieren. In seinen Leitlinien beschreibt das AA daher Rüstungskontrolle als elementaren Bestandteil feministischer Außenpolitik. Dazu heißt es: „Wir stärken gendersensible Ansätze in der Rüstungskontrolle und Rüstungsexportkontrolle. Wir fördern die Teilhabe von Frauen in diesen Bereichen. Wir stärken die humanitäre Rüstungskontrolle und treten für eine sichere Welt ohne Atomwaffen ein.“2
In der konkreten Umsetzung bleibt die feministische Haltung des AA zu Abrüstung und Rüstungskontrolle jedoch in vielen Teilen inkonsequent und widersprüchlich. Statt einen radikalen Politikwechsel anzustreben, folgt sie pragmatischen Überlegungen, die auf das politisch gerade Mögliche abzielen. Aber auch in diesem Spannungsverhältnis gäbe es hinreichend Möglichkeiten, Politik ganzheitlich und inklusiv zu gestalten. Dies gilt für die nukleare Rüstungskontrolle ebenso wie für die Entwicklung neuartiger Technologien wie die Künstliche Intelligenz in Waffensystemen.
FEMINISTISCHE AUSSENPOLITIK HEISST ATOMWAFFEN ABRÜSTEN
Die feministischen Leitlinien des AA formulieren das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen, denn aus feministischer Sicht sind Atomwaffen Ausdruck und Träger patriarchaler Machtstrukturen: Zum einen repräsentieren sie stärkebezogene Vorstellungen und Praktiken von Männlichkeit. Diese begünstigen Gewalt und ziehen nukleare Aufrüstung und Abschreckung dem Prinzip der Abrüstung vor. Zum anderen entscheiden zumeist privilegierte Akteure über die Beschaffung und Nutzung von Atomwaffen. Diejenigen, die am meisten unter den Folgen atomarer Aufrüstung leiden, sind in der Regel von diesen Entscheidungen ausgeschlossen. So ist die lokale Bevölkerung bei Tests und Einsätzen von Atomwaffen einem größeren Krebsrisiko durch Strahlung ausgesetzt. Für Frauen und Kinder ist das Risiko, an Krebs zu erkranken, noch einmal deutlich erhöht.3 Zudem fanden frühere Tests häufig in Gebieten indigener Völker statt.
Hieraus folgt aus feministischer Perspektive, dass die Bundesregierung ernsthaft an einer atomwaffenfreien Welt arbeiten muss. Das bedeutet vor allem, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle weiter institutionalisiert und verbessert werden müssen. In diesem Sinne muss sich die Bundesregierung als Unterzeichnerin des Nichtverbreitungsvertrags sowie als Beobachterin des Atomwaffenverbotsvertrages für die darin formulierten Vereinbarungen einsetzen und Alternativen zur nuklearen Abschreckung aufzeigen. Darüber hinaus sollte Deutschland das Atomwaffentestverbot stärken und die politische sowie wissenschaftliche Aufarbeitung der Testfolgen nachdrücklich unterstützen. Angesichts militärischer Bedrohungen sind außerdem konventionelle Verteidigungsstrategien der nuklearen Abschreckung vorzuziehen. Aber auch hier sollten die Gefahren für den Frieden rüstungskontrollpolitisch und diplomatisch eingehegt werden.
VERANTWORTUNGSVOLLE KI GEGEN DISKRIMMINIERUNGEN
Feministische Ansätze warnen vor ungewollten, diskriminierenden Verzerrungen bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) in Waffensystemen. Diese Verzerrungen sind zumeist eine Folge unbewusster Vorurteile, die zum Tragen kommen, wenn etwa Entwickler:innen Trainingsdaten auswählen oder Indikatoren für die Zielerkennung bestimmen. In diesem Prozess verfestigen sich oft Stereotype, etwa in Bezug auf die Frage, wer Soldat:in ist. So galten im US- amerikanischen Drohnenkrieg in Afghanistan junge Männer fast automatisch als Kämpfer und damit als Angriffsziel. Wenn diese vereinfachten Vorstellungen bei der KI-Entwicklung nicht aktiv thematisiert werden, dann schreibt sie die automatisierte Zielerkennung weiter fort.
„EINE ZEITGEMÄSSE RÜSTUNGSKONTROLLPOLITIK BRAUCHT FEMINISTISCHE PERSPEKTIVEN.“
Während in staatlichen wie auch privaten Einrichtungen mittlerweile ein Bewusstsein existiert, dass militärische KI „verantwortungsvoll“ entwickelt und reguliert werden muss, bleibt doch unklar, wer eigentlich bestimmt, was damit gemeint ist. Aus feministischer Sicht wäre der Anspruch, dass Technologieentwicklung nicht mehr länger exklusiv und innerhalb etablierter Machtstrukturen erfolgen darf. Die Bundesregierung als Auftraggeberin muss dafür sorgen, dass Expert:innen aus Politik, Forschung und Gesellschaft möglichst früh daran beteiligt werden. Zudem rücken unter feministischen Gesichtspunkten die menschlichen Kosten dieser Technologie in den Blick. Beschleunigte Kriegsführung erhöht das Eskalationsrisiko und kann so zu mehr Opfern führen.
INKLUSIVE STRUKTUREN SCHAFFEN
Die Felder nukleare Abrüstung und militärische KI zeigen, dass gerechte Rüstungskontrolle inklusiv sein muss. Dies geht über die bloße Repräsentanz von Frauen hinaus und schließt Menschen verschiedener Geschlechteridentitäten, nicht-staatliche Akteur:innen sowie indigene Völker mit ein. Mehr Beteiligung kann auf einfache Art erreicht werden, wenn zum Beispiel internationale Einrichtungen der Rüstungskontrolle ihre Arbeitsbedingungen verbessern und diese sich für eine Mitarbeit benachteiligter Gruppen öffnen. Wenn internationale Debatten bis weit in die Nacht hinein dauern oder mit Reisen verbunden sind, kommen Frauen, die häufiger zusätzliche Care-Arbeit leisten, seltener zu Wort. Hier können flexible Arbeitsregelungen, Quoten und eine angemessene Arbeitsstruktur helfen.
Auch für zivilgesellschaftliche Organisationen ist der Zugang zu internationalen Verhandlungsforen der Rüstungskontrolle oft schwer. Deutschland könnte ihnen die Beteiligung erleichtern, indem es sie zu entsprechenden Nebenveranstaltungen bei den Vereinten Nationen (VN) einlädt. Hier sollten insbesondere lokal betroffene Akteur:innen einbezogen werden, da sie die regionalen und kulturellen Gegebenheiten besser verstehen und repräsentieren können. Zudem sollten Sprecher:innen marginalisierter Gruppen finanziell unterstützt werden, damit sie an Rüstungskontrolldebatten teilnehmen können. Die Angemessenheit und Wirkung dieser Maßnahmen sollte regelmäßig überprüft werden.
RÜSTUNGSKONTROLLE MUSS FEMINISTISCH SEIN
Eine zeitgemäße Rüstungskontrollpolitik braucht feministische Perspektiven, weil sie helfen, Abrüstung und Rüstungskontrolle gerechter und inklusiver zu gestalten. Die Bundesregierung hat dies als Ziel formuliert, nun muss die konkrete Umsetzung folgen. Auch kleine Schritte können helfen, den simplen Pragmatismus in der Außenpolitik zu überwinden, Widersprüche aufzulösen und zu einem echten Wandel hin zu einer friedlicheren Welt beizutragen.