Wie verändert digitale Kommunikation den Rechtsextremismus? Zu den auffälligen Entwicklungen gehören zweifellos Hasskulturen, die sich über soziale Medien ausbreiten. Über sie formieren sich neue, virtuelle Allianzen, die rechtsextreme Ideologien und Gewaltrhetorik effektiv in die öffentliche Debatte transportieren.
- Digitale Hasskulturen zeichnen sich durch schwarmförmiges Verhalten von Internetnutzern aus.
- Sie greifen Menschen mit abweichenden Meinungen oder Merkmalen an und polarisieren oder stören gesellschaftliche Debatten.
- Sie eint die Ablehnung von Pluralismus, einer aufgeklärten Debattenkultur und 'politischer Korrektheit'.
- Ihre lose Struktur und ihr unerwartetes Auftreten heben sich vom traditionellen Verständnis hierarchisch organisierten Handelns in rechtsextremen Kreisen ab.
- Die Grenze zwischen alltäglichen Äußerungen und rechtsextremer Propaganda wird durch diese Kulturen verwischt. Es wird teils offen zur Gewalt angestiftet.
Hass und Hetze in den sozialen Medien gehen mit Gewalt und Terror in der realen Welt einher. Insbesondere im rechtsextremen Spektrum sind Akte der politischen Gewalt mit interaktiver Kommunikation im Internet verzahnt. Sie entspringen einer virtuellen Gemeinschaft, die mit ihren politischen Gegnern abrechnet – online und offline.
Der Anschlag im neuseeländischen Christchurch markiert eine neue Qualität des Rechtsterrorismus. Als im März 2019 ein 28-jähriger Australier auf betende Muslime feuerte und 50 Menschen tötete, hatte er dies nicht nur zuvor im Internet angekündigt, er hat die Tat zudem per Livestream geteilt. Begleitet wurde sie von einem im Internet verbreiteten Manifest sowie von Symbolen, Sprüchen und Gesten, die zahlreiche Verweise auf rechte Online-Diskurse enthalten. Der Täter sprach selbst von einer „realweltlichen Anstrengung“ und machte damit deutlich, dass er die Gewalt, die durch digitale Hasskulturen vorweggenommen wurde, nunmehr auf die Straße tragen wollte. Zugleich erhoffte er sich davon Aufmerksamkeit, Sympathie und Nachahmung in den Untiefen rechter Netzwelten. Und tatsächlich erhielt er dort – durch Bilder, Texte und Videos, die ihn als glorreichen Kämpfer huldigten – den virtuellen Ruhm, den er suchte.
„Die Grenzen zwischen alltäglichen Meinungsäußerungen und Propaganda verwischen.“
Die Verzahnung von virtueller und realer Gewalt ist im Rechtsextremismus an sich nicht neu. Bereits der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik war in rechten Online-Foren umtriebig, bevor er im Juli 2011 77 Menschen tötete. Breivik versuchte ebenfalls, durch die Verbreitung eines Manifests im Internet seiner Tat eine Öffentlichkeit zu geben, die in der vor-digitalen Zeit so nicht herstellbar gewesen wäre. Auch der antisemitische Angreifer von Pittsburgh kündigte, bevor er im Oktober 2018 elf Menschen in einer Synagoge erschoss, seine Tat in den sozialen Medien an. Die Tat in Neuseeland sucht jedoch ihresgleichen, weil sie wie keine zuvor die Trennlinie zwischen Online- und Offline-Handeln auflöst. Sie zeigt damit auch, wie schwer es mittlerweile ist, in einer ‚post-digitalen‘ Realität, in der das Internet integraler Bestandteil des Alltags ist, rechtsextreme Gewalt ohne ihre Einbettung in die virtuelle Welt zu verstehen.
Digitale Strategien des Rechtsextremismus
In den sozialen Medien nehmen in den letzten Jahren polarisierte gesellschaftliche Debatten zu. Die Möglichkeit der Manipulation von Meinungen über digitale Plattformen nutzt gerade das rechte Spektrum, um seine eigenen Ideen präsenter und attraktiver zu machen.
Der dynamische Charakter des Internets senkt die Hürden, sich an Diskussionen zu beteiligen. Es bilden sich Schwärme, die spontan auftreten und ihr Handeln und Wissen bündeln. Ohne diese Schwarmstrukturen würde es beliebte Internet-Plattformen wie Wikipedia oder YouTube nicht geben. Problematisch sind Schwärme dann, wenn sie sich um digitale Hasskulturen herum bilden, die pluralistische Werte, eine aufgeklärte Diskussionskultur und ‚politische Korrektheit‘ ablehnen. Da sich virtuelle Schwarmstrukturen den klassischen Vorstellungen von Gruppenmitgliedschaften und einer ideologisch einheitlichen Überzeugung entziehen, sind sie weniger vorhersehbar als klassische Organisationen und gleichzeitig durch einschränkende Maßnahmen weniger kontrollierbar.
Rechte Akteure haben den Charakter und Nutzen solcher Schwarmstrukturen erkannt und versuchen, diese strategisch für sich zu nutzen. Mitglieder des Schwarms sind sich dabei oftmals nicht bewusst, dass sie Teil einer größeren Agenda sind. Auf diese Weise entstehen virtuelle Gemeinschaften, die politische Aussagen mit spielerischen Elementen verbinden und bewusst die Grenzen zwischen alltäglichen Meinungsäußerungen und Propaganda verwischen.
Ein Beispiel für solch niederschwellige Beteiligungsformen ist die Streuung rassistischer Internet-Memes, also von Bild-Text-Kombinationen mit politischen Botschaften, die humoristisch aufgeladen sind, damit sie sich schnell über soziale Netzwerke verbreiten. Sie ersetzen in den sozialen Medien zunehmend die textbasierte Kommunikation. Im rechten Kontext sind sie zentraler Teil eines ‚Informationskriegs‘, dessen Ziel es ist, die Grundlage für eine Rechtswende zu schaffen. Insbesondere die Stigmatisierung von Muslimen und Geflüchteten dient dazu, die Ablehnung demokratischer Werte zu betonen, während zugleich politische oder gesellschaftliche Krisen als Gelegenheit für die eigene Sache zu nutzen versucht werden. Aufgerufen wird nicht nur zu Protest, sondern auch zu Gewalt.
„Der digitale Raum ist zu einem zentralen Betätigungsfeld rechtsextremer Akteure geworden.“
Die so geförderten digitalen Hasskulturen dürfen nicht ohne ihre realweltlichen Folgen verstanden werden. Zum einen sind Online-Plattformen mittlerweile sehr wichtig für die Formierung rechtsextremer Netzwerke. Zum anderen können sie über sogenannte „Echokammer-Effekte“ Einfluss auf Radikalisierungsverläufe von Menschen nehmen und in Gewaltanwendung münden.
Von der digitalen zur physischen Gewalt
Gewalt kann in einem weiteren Sinne auch bereits in der digitalen Welt ausgeübt werden. Hier ist insbesondere die Methode des sogenannten Doxing zu nennen. Der Ursprung des Begriffs lässt sich bis in die 1990er Jahre zurückverfolgen und beschreibt den Vorgang, jemanden durch die Veröffentlichung von sensiblen und persönlichen Daten anzugreifen. Doxing ist heute zu einem weit verbreiteten Phänomen geworden, da eine Vielzahl von persönlichen Daten leicht für Dritte abrufbar ist. Immer häufiger stehen dabei politische Motive im Hintergrund. Die digitale Bloßstellung wird dabei bewusst als Waffe genutzt, um das Leben der Opfer zu beeinträchtigen. Insofern kann diese Form der digitalen Gewalt auch physische Folgen haben.
Das wohl bekannteste Beispiel in Deutschland ist der Fall eines 20-Jährigen, der im Dezember 2018 private Daten von hunderten Personen des öffentlichen Lebens veröffentlicht hat. Sowohl die Auswahl der Opfer als auch das Onlineverhalten des Täters deuten auf eine rechtsgerichtete Motivation hin. Der Schüler ist offenbar kein Mitglied in einer rechtsextremen Organisation, wohl aber Teil einer digitalen Hasskultur, die unliebsame Meinungen – online und offline – mundtot machen will.
Teil einer solchen Kultur ist auch das rechtsextreme Netzwerk Reconquista Germanica. Im Kontext der Bundestagswahlen 2017 versuchte diese Gruppierung, Online-Diskurse zu untergraben, die Anhänger demokratischer Parteien einzuschüchtern und zur Wahl der AfD zu animieren. Unter ihrem Schirm versammelten sich unter anderem Mitglieder der Identitären Bewegung und der Jungen Alternative. Mit dem Ziel, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, wurden von ihnen Desinformationen verbreitet, rassistische Memes erstellt, Hashtags gekapert und Kommentarverläufe von YouTube-Videos manipuliert.
Die beiden Beispiele machen deutlich, dass digitale Hasskulturen weder vollkommen ungesteuert noch vollständig durchorganisiert sind. Ihr veränderlicher Charakter macht hergebrachte Vorstellungen darüber, wie rechtsextremer Aktivismus funktioniert, weitgehend hinfällig. Unbestreitbar ist allerdings, dass der digitale Raum zu einem zentralen Betätigungsfeld rechtsextremer Akteure geworden ist und ihnen die Funktionsweisen sozialer Medien in die Hände spielen. Sie beeinflussen durch ihre Online-Aktivitäten das Verhalten vieler Internet-Nutzer und deren Bereitschaft, sich selbst politisch zu äußern. In Zeiten, in denen die junge Generationen ihre Informationen bevorzugt über digitale Kanäle bezieht, ist diese Entwicklung bedenklich. Denn die gezielte Verzerrung der Realität durch digitale Hasskulturen stärkt die extreme Rechte und begünstigt die Überführung von digitalem Hass in reale Gewalt.