Die Hoffnung auf eine erneuerte demokratische Debattenkultur und größere Meinungsfreiheit durch die sozialen Medien wird inzwischen überschattet von Hass, Hetze und rechtsextremer Propaganda. Digitale Hasskampagnen werden gezielt und geschickt von extrem rechten Akteur*innen inszeniert, um menschenfeindliche Botschaften zu verbreiten und kritische Stimmen einzuschüchtern. Zivilgesellschaftliche Gegenrede ist und bleibt wichtig, kann aber allein den verselbstständigten Dynamiken rechtsextremer Propaganda kaum Einhalt gebieten.

  • Präventionspraxis im digitalen Zeitalter sollte proaktiv Meinungen und Ideen einbringen.
  • Influencer*innen auf YouTube und Instagram können Gegenrede die notwendige Reichweite, Authentizität und Glaubwürdigkeit verschaffen.
  • Community Management und „Digital Streetwork“ sind vielversprechende Ansätze einer digitalisierten Präventionsarbeit.

Extremistische Akteur*innen nutzen das Internet und seine technologischen Neuerungen und Trends, um geschickt eine Art Ökosystem aufzubauen, Netzwerke auszuweiten und eigene Deutungsangebote zu unterbreiten. Angesichts der Propaganda und digitalen Mobilisierungsstrategien extrem rechter Akteur*innen im Internet ist eine digitale Antwort unerlässlich. Doch um extrem rechter Propaganda wirksam entgegentreten zu können, muss zunächst verstanden werden, wie sie funktioniert.

Rechtsextreme Medienstrategien setzen auf Resonanz und Aufmerksamkeit, Opferinszenierung und das Spiel mit der Angst. Ihre emotionalisierenden, empörenden und angstschürenden Inhalte verbreiten sich schnell, dazu sind sie oft in ansprechende Formate verpackt. Hasskampagnen und subtile Unterwanderung durch die Besetzung von (vermeintlich) unpolitischen Themen sind Teil extrem rechter Mobilisierungsstrategien. Ungeachtet des Wahrheitsgehalts und unberührt von ethischen Standards, arbeiten sie mit gezielter Desinformation und verbreiten ihre Inhalte im digitalen Raum. Sie nutzen hierbei die Funktionsweise sozialer Medien, die auf einer algorithmengesteuerten, profitorientierten Verbreitungslogik basieren.

„Demokratische Akteur*Innen müssen den digitalen Raum proaktiv und innovativ mitgestalten, um im Kampf um Aufmerksamkeit zu bestehen.“

Rechtsextreme Inhalte profitieren somit von einem strategischen Vorteil, der von Präventionsakteur*innen und den von ihnen vermittelten Inhalten kaum wettgemacht werden kann. Ihre Informationen und Angebote verbreiten sich aufgrund selbstgesetzter Beschränkungen, die sich aus demokratischen Standards ergeben, selten „viral“ über soziale Medien. Hieraus kann der Schluss gezogen werden, dass der Kampf gegen rechtsextreme Inhalte in den sozialen Medien nur durch gemeinsame Anstrengungen vieler unterschiedlicher Akteur*innen Aussicht auf Erfolg hat.

Gegenmaßnahmen als Gemeinschaftsaufgabe

Für die Politik, die Technologieunternehmen, die Institutionen der politischen Bildung und die Zivilgesellschaft ergeben sich hierbei unterschiedliche Verantwortlichkeiten und Chancen. Prävention im digitalen Zeitalter fordert von den politischen Entscheidungsträgern Gesetzesgrundlagen gegen die Verbreitung von Hass zu schaffen und von den Technologieunternehmen zusätzliche Selbstverpflichtungen, um den Verbreitungsdynamiken von Hassrede entgegenzuwirken (z. B. durch die Kuratierung, also der Verwaltung und Anpassung von Algorithmen). Der Christchurch Call, durch den sich eine Vielzahl von Staaten, eine Reihe internationaler Organisationen und Anbieter von Online-Plattformen nach dem Anschlag in Neuseeland darauf verständigt haben, konsequent gegen extremistische und terroristische Inhalte („terrorist and violent extremist speech“) vorzugehen, ist ein Beispiel für eine solche gemeinsame Vorgehensweise. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen können über solche Maßnahmen hinaus extremistische Inhalte dekonstruieren, widerlegen und ‚entzaubern‘.

Erfolgskriterien für Gegenkampagnen: Authentizität und Glaubwürdigkeit

Die Wirksamkeit von Gegenrede ist schwer zu messen. Anhand von Zahlen kann die Resonanz unterschiedlicher Ansätze verglichen werden. Doch ob eine Gegenkampagne den gewünschten Einfluss auf die politische Einstellung und Weltanschauung eines Users hat, ist damit noch nicht geklärt. Dennoch lassen sich Kriterien für einen Erfolg benennen: Gegenkampagnen sollten mehr sein als nur eine spiegelbildliche Antwort auf extremistische Propaganda. Durch eine proaktive Mitgestaltung des digitalen Raums können sie selbst Akzente setzen und Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dabei ist eine an die Zielgruppe gerichtete, ästhetisch ansprechende Form der Vermittlung von Inhalten wichtig, so etwa eine, die den Gewohnheiten der digitalen Jugendkultur entspricht. Dazu gehören beispielsweise spezifische Formen von Humor und Ironie oder die Verwendung von Memes (Text-Bild-Kombinationen). Die Beteiligung von bekannten Influencer*innen auf YouTube und Instagram an Gegenkampagnen bietet die Möglichkeit, ihre Authentizität und Glaubwürdigkeit sowie ihre Reichweite zur Vermittlung demokratischer Grundwerte zu nutzen. Bereits 2013 initiierte die Bundeszentrale für Politische Bildung die interaktive Kampagne „YouTuber gegen Nazis“, um ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu setzen. Jan Böhmermanns Projekt „Reconquista Internet“ – als Gegenbewegung zum rechten Reconquista Germanica ins Leben gerufen – ist ein weiteres Beispiel dafür, wie eine Kampagne von der Prominenz eines TV-Moderators profitieren konnte.

„Wenn wir etwas verändern wollen, müssen alle an einen Tisch: Politik, Unternehmen und Zivilgesellschaft.“

Jenseits von Kampagnen: Community und Content Management

Eine Mischform stellen digitale Ansätze der aufsuchenden Sozialarbeit dar, die auf Methoden aus der realweltlichen Jugendarbeit aufbauen und diese in einem „Digital Streetwork“-Ansatz vereinen. In der digitalen aufsuchenden Sozialarbeit arbeiten „Online-Streetworker“ in sozialen Netzwerken und Foren, wo sie sich einerseits durch Beiträge zu Diskussionen in Kommentarspalten einbringen – bezeichnet als one-to-many – und andererseits Gespräche mit Einzelpersonen über individuelle Kanäle suchen – one-to-one. Dieser Ansatz ist sehr vielversprechend, da eine Dunkelziffer von mitlesenden Personen erreicht wird: Internetnutzer*innen, die Diskussionen verfolgen, Argumente mitlesen und den Meinungsaustausch beobachten.