Die meisten der nach dem 11. September 2001 in Deutschland verabschiedeten Anti-Terror-Gesetze sind nach wie vor in Kraft. Sie wurden bisher nur unzureichend überprüft, gleichzeitig aber in vielen Fällen verstetigt, ausdifferenziert oder erweitert. Nach 20 Jahren braucht die Sicherheitsgesetzgebung einen Neustart, indem:

  • Evaluierungen unabhängiger und transparenter gestaltet werden,
  • die Verabschiedung neuer Anti-Terror-Gesetze solange ausgesetzt wird, bis geltende Regelungen ernsthaft und ergebnisoffen überprüft worden sind, und
  • Gesetzgebungsverfahren zukünftig in breitere und offenere Debatten eingebettet werden.

Als Reaktion auf die Anschläge des 11. Septembers 2001 und nachfolgende Terrorakte hat die Bundesregierung – ähnlich wie andere Regierungen westlicher Demokratien – eine kaum noch überschaubare Fülle an Anti-Terror-Gesetzen beschlossen. Viele dieser Regelungen greifen in zentrale Grund- und Freiheitsrechte ein. Kritisch in der Öffentlichkeit diskutiert wird dabei oft nur die Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen. Aber auch jenseits der Frage, wie Sicherheit und Freiheit im Einzelfall in Einklang gebracht werden können, bedarf es dringend struktureller Veränderungen bei den parlamentarischen Verfahren, um zu einer evidenzbasierten und transparenten Anti-Terror- Politik jenseits wechselnder Krisen- und Aufregungszyklen zu kommen. Voraussetzung dafür ist vor allem eine politische Diskussion, die sich ernsthaft und ergebnisoffen mit der Notwendigkeit, Angemessenheit und Wirksamkeit der Regelungen auseinandersetzt.

Die Bundesregierung hat auf neue Anschläge mit immer neuen Gesetzen reagiert, durch die die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden stetig ausgebaut wurden. Insbesondere die Befugnisse zur präventiven Erfassung, Speicherung und Auswertung unterschiedlichster Daten wurden deutlich erweitert. Die in Deutschland unmittelbar nach 9/11 verabschiedeten Sicherheitspakete ermöglichten unter anderem einen leichteren Zugriff auf Kontodaten. In der Folge späterer Anschlagswellen kamen etwa die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten oder die Erfassung von Fluggastdaten hinzu. Als Reaktion auf Anschläge in der jüngeren Vergangenheit, etwa in Halle 2019 und Hanau 2020, erlaubten Bundestag und Bundesrat den Nachrichtendiensten, verschlüsselte Messenger-Dienste wie WhatsApp mit Hilfe des sogenannten „Bundestrojaners“ auszuspähen.

„EVALUIERUNGEN MÜSSEN UNABHÄNGIG SEIN.“

In Teilen spiegeln diese Entscheidungen globale Trends wider oder gehen auf internationale Impulse und Verpflichtungen im Rahmen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union oder des Europarats zurück. Sie folgen aber auch – oftmals erratischen – innenpolitischen Dynamiken. Anti-Terror-Gesetze sind vor allem reaktiv und das Ergebnis einer reflexartigen Antwort auf aktuelle Diskussionen in der Folge konkreter Ereignisse. Diese für Krisenmomente typischen Reaktionsmuster sollen primär politische Zustimmung generieren oder die eigene Handlungsfähigkeit aufrechterhalten, orientieren sich aber nur bedingt an einer genaueren Problemanalyse. Entscheidungsträger*innen geben erprobten Maßnahmen den Vorzug oder betreiben symbolischen Aktionismus durch möglichst sichtbare Beschlüsse mit großer Signalwirkung. So kommen zwar immer neue Befugnisse und Normen in unterschiedlichsten Bereichen hinzu. Einmal in Kraft getreten, werden bestehende Regelungen aber nur selten grundsätzlich hinterfragt oder gar zurückgenommen.

Normalisierung des Ausnahmezustands?

Ursprünglich waren viele grundrechtseinschränkende Anti-Terror-Gesetze zeitlich befristet und sollten zu einem späteren Zeitpunkt überprüft werden. Allerdings sind die meisten dieser Regelungen heute immer noch in Kraft. Dort, wo Regelungen geändert oder aufgehoben wurden, wie etwa beim Luftsicherheitsgesetz oder bei der Vorratsdatenspeicherung, geschah dies eher auf der Grundlage von Gerichtsentscheidungen. Die Änderungen waren nicht das Ergebnis politischer Neubewertungen. Bisherige offizielle Evaluierungen, etwa zum Antiterrordateiengesetz oder zum Bundesverfassungsschutzgesetz, haben die Bewertung der Wirksamkeit und Angemessenheit der Regelungen den Sicherheitsbehörden selbst überlassen und eher auf die Frage verkürzt, wie und wie häufig die Gesetze praktisch zur Anwendung kamen. Zudem wurden die Evaluierungen nicht in eine breitere öffentliche Debatte eingebunden. In der Regel wurden die begutachteten Gesetze so einfach nur bestätigt.

So hat der Bundestag im November 2020 die Regeln des Terrorismusbekämpfungsgesetzes endgültig entfristet und in dauerhaftes Recht überführt. In der vorgeschalteten Evaluierung hat der eingesetzte Sachverständige die Bundesregierung zwar methodisch beraten, die Wirksamkeit der Maßnahmen wurde dann aber primär durch die jeweils zuständigen Sicherheitsbehörden selbst beurteilt. Die im Gesetz enthaltenen Regelungen bleiben allerdings politisch und wissenschaftlich weiterhin umstritten.

DEMOKRATISCHE UND EVIDENZBASIERTE ANTI-TERROR-GESETZGEBUNG

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklungen gilt es einen Weg zu finden, der es ermöglicht, dass durch neue Anschläge und Diskussionen der unübersichtliche Berg an Maßnahmen und Befugnissen nicht immer weiter anwächst und bestehende Regelungen einer grundsätzlichen Prüfung unterzogen werden. Evaluierungen sind ein klassisches Mittel, um die im Angesicht konkreter Gefahren erlassenen Gesetze unabhängig zu überprüfen. In der oben beschriebenen Form leisten sie dies allerdings nicht, sondern dienen eher der nachträglichen Legitimierung umstrittener Entscheidungen durch ein eher symbolisches Verfahren.

Zwar sind Evaluierungen methodisch anspruchsvoll und können nicht immer alle Fragen endgültig klären, etwa weil Daten fehlen oder sich bestimmte Effekte nicht zielsicher konkreten Maßnahmen zuordnen lassen. In der richtigen Form können darin aber gravierende Schwachstellen identifiziert und offene Fragen benannt werden, die dann politische Diskussionen anstoßen. Zu den methodischen Möglichkeiten und Grenzen bietet etwa die Forschung zu bisherigen Erfahrungen mit Evaluierungen im Sicherheitsbereich konkrete Ansatzpunkte.2 Evaluierungen müssen durch unabhängige Expert*innen mit breitem Mandat und nach wissenschaftlichen Standards erfolgen; Sicherheitsbehörden sollten die entsprechenden Beurteilungen nicht primär selbst vornehmen.

„KOMPROMISSE UND NEUE IDEEN DURCH EINE OFFENE DISKUSSION.“

Zudem sollten Evaluierungen die unterschiedlichen Aus- und Nebenwirkungen der Gesetze überprüfen und die verschiedenen Regelungen in ihrem Zusammenwirken betrachten. Neben der praktischen Anwendbarkeit müssen auch die Notwendigkeit, die Angemessenheit und die Wirksamkeit Gegenstand der Begutachtung sein. Zudem sollten auch zentrale Gerichtsentscheidungen Berücksichtigung finden, um sicherzustellen, dass sich politische Evaluierung und die Korrektivfunktion der Rechtsprechung gegenseitig ergänzen. Auch nach einer Entfristung sollten regelmäßig Evaluierungen im institutionalisierten Rahmen des Bundestags erfolgen. Dies sollte kombiniert werden mit einem befristeten Moratorium für die Verabschiedung neuer Sicherheitsgesetze, wie es unter anderem der Bundesbeauftragte für den Datenschutz mehrfach gefordert hat. So würde zunächst eine grundlegende Bestandsaufnahme ermöglicht und im Weiteren das Feld für eine breitere öffentliche Debatte auf Basis der Evaluierungsergebnisse bereitet.

Idealerweise werden mögliche Probleme bereits im Gesetzgebungsprozess erörtert. Auch schon in dieser Phase können wissenschaftliche Einschätzungen auf Schwächen im Gesetz oder zentrale Diskussionspunkte hinweisen. In krisengetrieben Situationen, speziell nach Anschlägen, fehlen hierfür aber oftmals die Zeit und der politische Wille. Dies zeigte sich zuletzt wieder bei Forderungen nach Gesetzesverschärfungen im Nachklang zu den Terroranschlägen in Halle und Hanau. In vielen Gesetzgebungsverfahren finden bereits öffentliche Anhörungen mit Vertreter*innen aus der Wissenschaft und Zivilgesellschaft statt. Die unterschiedlichen Seiten laden aber oftmals nur jene Expert*innen ein, die ihre Position am ehesten bestätigen; vorhandene Meinungsunterschiede werden so lediglich reproduziert. Neue Ideen können aber nur dann generiert und Kompromisse ausgehandelt werden, wenn Regierung, Parlament und Sicherheitsbehörden sich auch auf offene und breit angelegte Diskussionen einlassen. Die Bereitschaft, unterschiedliche Handlungsalternativen ernsthaft zu erörtern und gegebenenfalls Änderungsvorschläge aus der Öffentlichkeit aufzunehmen, ist eine wesentliche Voraussetzung für den notwendigen Neustart der Anti-Terror-Gesetzgebung in Deutschland zwei Jahrzehnte nach 9/11.