Die sozialen Medien stehen zunehmend in der Kritik, durch ihre Funktionsweise die gesellschaftliche Polarisierung voranzutreiben. Immer deutlicher wird dabei, dass die Zivilgesellschaft Hass und Falschmeldungen nur begrenzt mit digitaler Gegenrede entgegenwirken kann. Zugleich schwindet in der Politik die Geduld, dass die Tech-Unternehmen eine Selbstregulation umsetzen, mit der die Räume für extremistische Propaganda geschlossen werden. Zunehmend stellt sich daher die Frage: Wie könnte eine politische Regulierung der sozialen Medien aussehen?

  • Effektive Eingriffe beschneiden unweigerlich die Freiheit des Einzelnen, Inhalte der Öffentlichkeit ungefiltert präsentieren zu können.
  • Diese neu enstandende Veröffentlichungsfreiheit ist von der Meinungsfreiheit zu trennen, die nicht anzutasten ist.
  • Um demokratische Normen zu bewahren, ist eine Zentrierung inhaltlicher Verantwortung bei den Plattformen nötig.
  • Auch der Aufbau von sozialen Medien in öffentlich-rechtlicher Hand wäre eine Option, um die offene Gesellschaft zu schützen.

Die gesellschaftliche Polarisierung im Zuge der Digitalisierung wirft grundsätzliche Fragen zur Bedeutung von Medien in demokratischen Gesellschaften auf. Insbesondere die sozialen Medien wirken ja maßgeblich an der Herstellung von Öffentlichkeit mit – und bestimmen damit, welche Informationen die Bevölkerung auf welche Weise beeinflussen. Ob dies nach Regeln funktioniert, die Verständigung ermöglichen, entscheidet über Wohl und Wehe der offenen Gesellschaft.

„Neben die Idee der Meinungsfreiheit ist etwas getreten, für das viele nicht mal einen Namen haben. Man könnte es Veröffentlichungsfreiheit nennen."

Zur Erinnerung: Als einst die Massenpresse und schließlich Funk und Fernsehen aufkamen, war das eine Zäsur für den politischen Diskurs. Die neuen Technologien veränderten nicht nur die gesellschaftliche Wahrnehmung der Welt, sondern ermöglichten auch extremistischen Akteuren neue Formen der Manipulation. Besonders sinnbildlich hierfür mag der „Volksempfänger“ stehen, den sich die Nazis zunutze machten, um die Bevölkerung direkt zu beeinflussen. So betrachtet bargen auch die traditionellen Medien ein destruktives Potential, das die Demokratien erstmal bändigen mussten. Das Presserecht steht für diese Einhegung ebenso wie journalistische und ethische Standards bei der Wissensproduktion. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann als Teil dieser Bemühungen betrachtet werden, eine Medienlandschaft zu schaffen, die kompatibel mit den Anforderungen demokratischer Diskurse ist. Die hergebrachten Technologien der Massenkommunikation unterliegen also durchaus einer Regulation – und zwar so selbstverständlich, dass wir uns dem häufig nicht mal mehr bewusst sind.

Mit der Digitalisierung sind die alten Normen der Massenkommunikation, die in dieser Regulation zum Ausdruck kommen, unter Druck geraten. In einer vielbeachteten Rede vor der Anti-Defamation League (ADL) wies der Komiker Sacha Baron Cohen bereits Ende 2019 darauf hin, dass man „freedom of speech“ heute allzu häufig mit „freedom of reach“ verwechsle. Neben die Idee der Meinungsfreiheit ist also etwas getreten, für das viele nicht mal einen Namen haben. Man könnte es Veröffentlichungsfreiheit nennen: das Recht darauf, dass die eigene Meinung nicht nur von Repressalien verschont bleibt, sondern auch noch veröffentlicht wird. Und in der Tat ist es das, was die sozialen Medien leisten: Sie stellen Öffentlichkeit her, veröffentlichen also Inhalte. Nur dass die Autoren jene Inhalte heute selbst einstellen. Die Tech-Unternehmen filtern dann erst rückwirkend die gröbsten Verstöße heraus. Dieses „post-redaktionelle“ Prinzip, wie es die Journalistin Margreth Lünenborg nennt, ist das entscheidende Einfallstor für extremistische Propaganda und Verschwörungstheorien.

Zentrierung inhaltlicher Verantwortung

Es ist offensichtlich, dass die neue Veröffentlichungsfreiheit im Konflikt mit den alten Normen der Massenkommunikation steht. Sie werden regelrecht ad absurdum geführt, wenn sie für die traditionellen Medien gelten, während die „Intermediäre“ – so die rechtliche Einstufung der sozialen Medien – kaum Verantwortung für die von ihnen veröffentlichten Inhalte tragen, obwohl sie großen Einfluss auf die Bevölkerung haben. Diese Erkenntnis ist allmählich auch im politischen Diskurs angekommen. Wurden die Tech-Unternehmen im Kontext des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes bereits stärker in die Pflicht genommen, um gegen Hass und Hetze vorzugehen, geht es politischen Entscheidungsträgern mit der Corona-Krise nun verstärkt auch darum, den Raum für Falschmeldungen und Verschwörungstheorien zu verengen. So arbeitet etwa die EU-Kommission derzeit an einem Digitalgesetz, von dem vor allem eine stärkere Regulation der Inhalte in den sozialen Medien erwartet wird. Damit könnte die inhaltliche Verantwortung, die in den sozialen Medien auf die Breite der Nutzer verteilt wurde, mehr bei den Betreibern von Plattformen zentriert werden.


    Wenngleich von vielen als Zensur kritisiert, ist eine Zentrierung inhaltlicher Verantwortung dennoch zu erwägen. Warum auch sollte der kollektive Nutzen bewährter Regeln der Massenkommunikation weniger wiegen als das Interesse Einzelner, die Bevölkerung ungehemmt beeinflussen zu dürfen? Gerade am Beispiel des Rechtsextremismus zeigt sich ja, dass Akteure, die zur Manipulation gewillt sind, mit der Veröffentlichungsfreiheit große Raumgewinne erzielen können. Dabei muss eine Zentrierung nicht unbedingt auf höchster Ebene erfolgen, etwa indem man die Tech-Unternehmen wie Redaktionen behandelt. Denkbar wäre auch eine Zentrierung auf »mittlerer« Ebene, bei der die sozialen Medien zwischen privaten und öffentlichen Netzwerken sowie exklusiven und Masseninformationen unterscheiden müssten. Zumindest für diejenigen, die die sozialen Medien tatsächlich zur Massenkommunikation nutzen, sollten dieselben Normen wie bei den herkömmlichen Medien gelten. Sonst werden diese Normen mittelfristig ganz ausgehebelt.

Entmonopolisierung und Sozialisierung

Eine Einhegung der sozialen Medien ist allein deswegen schon angebracht, weil in ihrem Bereich Monopoltendenzen bestehen, die in der Marktwirtschaft nicht vorgesehen sind. Dabei halten die Tech-Unternehmen auch Technologien in ihren Händen, die entscheidend für den demokratischen Diskurs sind. Allerdings tut sich die Politik schwer, diese Monopole zu zerschlagen, unter anderem weil diese nicht durch Kartellbildung zustande kamen, sondern „natürlich“ über die Marktentscheidungen der Nutzer. Hier könnte eine Verantwortungszentrierung entzerrend wirken. Denn um Inhalte vor der Veröffentlichung überhaupt sinnvoll selektieren zu können, wären die Plattformbetreiber gezwungen, zu definieren, welche Inhalte und Nutzer gewünscht sind. Ähnlich wie bei den Zeitungen, den Verlags- und Medienhäusern, die sich in Blattlinie und mitunter auch Weltanschauung unterscheiden, könnte so ein aufgefächertes Marktangebot verschiedener Plattformen entstehen.
  

„Soziale Medien lassen sich auch als Teil einer öffentlichen Infrastruktur denken, die durch demokratische Gremien gesteuert wird."

Eine weitere Option ist gar, soziale Medien wortwörtlich in den öffentlichen Dienst zu stellen. Da es sich um Technologien handelt, die fast schon als Teil der Grundversorgung empfunden werden, ist das nicht abwegig. Gerade bei natürlichen Monopolen, die Gemeingutcharakter annehmen, war Sozialisierung – ihre Überführung in gesellschaftliches Eigentum – stets ein probates Mittel. Und letztlich ist ja auch bereits beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Grundgedanke gewesen, dass eine vitale Demokratie politisch und wirtschaftlich unabhängiger Medien bedarf. In diesem Sinne lassen sich auch soziale Medien als Teil einer öffentlichen Infrastruktur denken, die durch demokratische Gremien gesteuert wird – und deren Funktionsweise pädagogisch und kulturell wertvolle Inhalte fördert. Ob dies durch Verstaatlichung erfolgen soll, wie von manchen Digitalexperten gefordert, oder durch den Aufbau von Plattformen nach öffentlich-rechtlichem Vorbild, sei dahingestellt. Es stünde in jedem Falle, wie auch eine rechtliche Einhegung der sozialen Medien, für eine Demokratisierung. Denn damit gewinnt das demokratische Gemeinwesen die Kontrolle über die Technologien zurück, die über seine Zukunft entscheiden.