Kann die OSZE Brücken zu Russland bauen?

IFSH-Kurzanalyse von Dr. habil. Cornelius Friesendorf

Der russische Außenminister Lawrow nahm am OSZE-Treffen in Skopje teil.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) – die größte regionale Sicherheitsorganisation der Welt – ist sehr geschwächt. Das liegt vor allem daran, dass Russland seine Vetomacht nutzt, um die konsensbasierte Organisation zu kontrollieren.

Bei einem Treffen Anfang Dezember konnten sich die Außenminister:innen der Teilnehmerstaaten zwar auf Malta als Vorsitz für das Jahr 2024 einigen. Auch verlängerten sie die Mandate der vier Führungspositionen des OSZE-Apparates. Dennoch wird die Pattsituation zwischen Russland und den Partnern der Ukraine die OSZE weiterhin prägen. So gibt es bislang keine Einigung über den regulären Haushalt.

Wie können Unterstützer der Ukraine im Rahmen der OSZE mit Russland umgehen? Ein klassischer Ansatz wäre die Kompartmentalisierung. Diplomat:innen nutzen diesen Ansatz, um Streitpunkte von Themen zu trennen, bei denen eine Zusammenarbeit aufgrund gemeinsamer Interessen möglich wäre. Eine solche Kompartmentalisierung kann einen Spillover-Effekt haben, also dazu führen, die Zusammenarbeit auf andere Politikfelder auszuweiten. Im Idealfall entsteht dabei Vertrauen.

Eine Kompartmentalisierung innerhalb der OSZE ist mit der Absicht verbunden, dass sich unvereinbare Positionen zum Krieg gegen die Ukraine nicht auf sämtliche OSZE-Aktivitäten auswirken. Indem Brücken zu Russland gebaut werden, könnte verhindert werden, dass Moskau die OSZE in eine Zombieorganisation verwandelt – ein Schicksal, das anderen internationalen Organisationen zugestoßen ist. Gleichzeitig hat dieser Ansatz seine Grenzen und birgt Risiken, mit denen die Verbündeten der Ukraine umgehen müssten.

Kompartmentalisierung beruht auf der Annahme, dass Kompromisse möglich sind und Regierungen Kosten und Nutzen rational gegeneinander abwägen. Die Forschung zur russischen Sicherheitspolitik legt jedoch nahe, dass es Russland vor allem um mehr Status geht. Dies schließt zwar nicht aus, dass sich Russland auf manchen Gebieten kooperationsbereit zeigt. Dies wird aber kaum zu einer Kooperationsausweitung auf Konflikte wie den um die Ukraine führen, die Teil von Russlands imperialistischem Projekt sind. Außerdem gibt es nicht viele Bereiche, in denen Russlands Interessen und die der Verbündeten der Ukraine zusammenpassen. So haben Brückenbauer in der OSZE vorgeschlagen, bei den Folgen des Klimawandels für die Sicherheit zusammenzuarbeiten. Aber Russlands Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wirkt einer Zusammenarbeit bei diesem Thema entgegen. 

Eine Kompartmentalisierung kann auch unbeabsichtigte Folgen haben. Eine Zusammenarbeit könnte so verstanden werden, als legitimiere sie Verstöße gegen internationale Normen. Wenn eine Normverletzung extrem ist – so wie im Fall von Russlands Krieg gegen die Ukraine –, muss eine Kompartmentalisierung besonders gut begründet werden. Zudem besteht das Risiko, dass die Verbündeten der Ukraine ihre Russlandkritik abmildern, weil sie sich um punktuelle Zusammenarbeit bemühen (die routinemäßige Kritik an Russland in der OSZE wird zwar die Politik des Kremls nicht ändern, schützt aber Normen wie das Verbot eines Angriffskrieges vor dem Verfall). Noch gefährlicher ist, dass eine Kompartmentalisierung die Gräben zwischen denjenigen in der OSZE, die einen „No Business as usual“-Ansatz vertreten (wie etwa Polen und die Baltischen Staaten), und denjenigen vertiefen könnte, die befürchten, „no business as usual“ könnte die OSZE zerstören (wie etwa Österreich und die Schweiz). Hinzu kommt, dass Russland Kompartmentalisierung als Schwäche wahrnehmen und selbst eine minimale Zusammenarbeit für Propagandazwecke ausnutzen könnte.

Angesichts dieser Risiken und Nebenwirkungen müsste Kompartmentalisierung innerhalb der OSZE genauestens abgewogen werden. Die Verbündeten der Ukraine sollten sich auf Bereiche konzentrieren, in denen ein Konsens mit Russland notwendig ist, damit die Organisation nicht untergeht – vor allem im Zusammenhang mit dem Haushalt. Dabei müssen sie sicherstellen, dass die Vorteile gegenüber den negativen Folgen überwiegen. Für den regulären Haushalt hieße das beispielsweise, dass es wohl vertretbar wäre, Formulierungen aus dem Haushaltsentwurf zu entfernen, aufgrund derer Moskau seine Zustimmung verweigert. Zudem sollte eine Kompartmentalisierung den richtigen Leuten zugutekommen. Zum Beispiel würde mehr Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens oder bei der Cybersicherheit dem russischen Sicherheitsapparat in die Hände spielen, der den Kreml dominiert. Stattdessen sollte sich die OSZE auf Bereiche konzentrieren, die der Bevölkerung vor Ort direkt nutzen würden, wie etwa eine Förderung der Wirtschaftskonnektivität.

Der wichtigste Punkt ist, von Kompartmentalisierung nicht zu viel zu erwarten. Das Konzept ist kein Allheilmittel für den Umgang mit einem revisionistischen Staat. Der Wert bestünde vielmehr darin, die OSZE vitaler zu machen, bis die Umstände – vor allem eine Veränderung im Kreml – eine Rückkehr zu einer kooperativeren europäischen Sicherheitsordnung erlauben.
 

Dr. habil. Cornelius Friesendorf ist Wissenschaftlicher Referent und Leiter des Zentrums für OSZE-Forschung (CORE) am IFSH.

Zum OSZE-Treffen in Skopje hat Dr. habil. Cornelius Friesendorf Interviews im Deutschlandfunk und für den Radiosender Bayern 2 gegeben. Das Interview im Deutschlandfunk können Sie hier nachhören.