Expert*innen-Briefing: Deutsches Friedensengagement nach Afghanistan-Debakel

Letzter US-Soldat, Major General Chris Donahue, verlässt Afghanistan

Letzter US-Soldat, Major General Chris Donahue, verlässt Afghanistan (c) picture alliance / ZUMAPRESS.com

 

In der Nacht zum 1. September 2021 verließ der letzte US-Soldat den Flughafen in Kabul. Das symbolträchtige Foto ging um die ganze Welt und markiert das Ende eines knapp 20 Jahre andauernden Kampfes internationaler NATO-Truppen gegen die Taliban in Afghanistan. Seit dem Truppenabzug kontrollieren sie wieder den Großteil des Landes. Der Afghanistan-Einsatz gilt endgültig als gescheitert.

Wie kann ein solcher Misserfolg internationaler Friedensmissionen künftig verhindert werden? Und welche Lehren sollte Deutschland aus dem misslungenen Engagement am Hindukusch für seine laufenden Auslandseinsätze wie etwa in Mali ziehen? Welche Ansätze gibt es für ein erfolgversprechendes friedenspolitisches Engagement in Krisenregionen?

Um diese zentralen Fragen ging es während einer gemeinsamen Veranstaltung des Berliner IFSH-Büros mit dem Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) am 6. September. Expert*innen für Staatsaufbauprojekte und internationale Friedensmissionen, darunter IFSH-Direktorin Prof. Dr. Ursula Schröder, Prof. Dr. Sabine Kurtenbach (GIGA), Dr. habil. Cornelius Friesendorf (IFSH) und Dr. Tim Glawion (GIGA) stellten zunächst aus Sicht der Forschung dar, welche Zukunftsaussichten insbesondere ein deutsches Engagement in internationalen Friedensmissionen haben kann und welche Chancen Staatsaufbauprojekte generell haben.

Unter der Moderation von Jessica Noll (IFSH) diskutierten die Wissenschaftler*innen anschließend mit rund 50 Vertreter*innen aus Politik und Wissenschaft sowie Polizeikräften über diese Fragen. Das Briefing fand unter den sogenannten Chatham House Rules statt, weshalb die ausgewählten Statements keinen Bezug zur Person oder ihrer Institution haben.
 

•    „Berichte und Analysen über die großen Herausforderungen des Afghanistaneinsatzes lagen lange vor. Hier muss wissenschaftliche Expertise zukünftig politisch handlungsleitender werden. “
 
•    „Erwartungsmanagement ist wichtig. Friedensmissionen sind Hochrisikoprojekte, bei denen Misserfolge eher wahrscheinlich sind als Erfolge. Diese Risiken müssen vorher klar kommuniziert werden.“
 
•    „Weniger versprechen. Deutschland sollte Projekte wie beispielsweise Menschenrechtstrainings für Sicherheitskräfte überdenken oder die begrenzten Möglichkeiten dieser Projekte ehrlicher ansprechen. Die Forschung zeigt, dass Training Verhalten nicht ändert, wenn das institutionelle Umfeld gleichbleibt.“
 
•    „Es sollten nicht nur die ‚Stammesältesten‘ in Friedensaufbauprozesse eingebunden werden, sondern auch junge Menschen. Staatsaufbau ist ein langfristiger Prozess, der über Generationen geht.“
 
•    „Wir müssen unsere eigenen institutionellen Einrichtungen hinterfragen. Es sollte eine Balance zwischen Flexibilität des Friedenseinsatzes und Rechtschaffenheitspflicht gegenüber den deutschen Steuerzahler*innen geben.“
 
•    „Lokale Akteur*innen müssen geschützt werden!“
 
•    „Bevor man in einem Krisengebiet ein großes Friedensprojekt auf die Beine stellt, sollte man die Bedürfnisse der Menschen vor Ort kennen.“


Weitere Informationen zu Afghanistan finden Sie in unserem Website-Themenschwerpunkt „Afghanistan“: https://ifsh.de/ww/afghanistan