Hamburg und die OSZE

Dr. Frank Evers und Dr. Cornelius Friesendorf

1971 wurde das IFSH gegründet. Vier Jahre später, am 1. August 1975, unterzeichneten Staats- und Regierungschefs in Helsinki ein Schlüsseldokument der Entspannungspolitik: die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), aus deren nachfolgenden Verhandlungen im Jahr 1995 die OSZE hervorging.

In der Öffentlichkeit ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wenig bekannt. Trotzdem ist sie wichtig für die gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung. Die OSZE umfasst 57 Teilnehmerstaaten aus drei Kontinenten – Nordamerika, Europa und Asien. Ihre Regierungen verhandeln am Wiener Sitz der OSZE ständig über Sicherheitsfragen und nutzen die Strukturen der OSZE und ihre Feldoperationen zur Konfliktverhütung und -beilegung. Die OSZE unterstützt auch die Rüstungskontrolle und befasst sich mit Wirtschafts- und Umweltthemen. Ein besonders umstrittenes Thema ist der Schutz von Menschenrechten. Die Hoffnung der 1990er Jahre, dass Demokratisierung ein unaufhaltsamer Prozess sei, hat sich zerschlagen; die OSZE ist zunehmend geprägt von autoritären und populistischen Regierungen, die Forderungen nach Rechtstaatlichkeit, einschließlich der Achtung von Menschenrechten, als westliche Einmischung in ihre Angelegenheiten betrachten.

Das IFSH hat die Arbeit der KSZE und OSZE über die Jahrzehnte eng begleitet. So hat unser ehemaliger Direktor Egon Bahr mit seinem Verständnis von gemeinsamer Sicherheit den OSZE-Prozess prominent mitgeprägt. Mit der Publikation des OSZE-Jahrbuches begann das IFSH bereits 1995, die wissenschaftlichen und politischen Diskussionen um die OSZE für die Öffentlichkeit zu erfassen.

Am 6. Januar 2000 wurde das Zentrum für OSZE-Forschung CORE (Centre for OSCE Research) am IFSH gegründet. Die Eröffnung des Forschungszentrums wurde mit einem Festakt im Hamburger Rathaus gefeiert – mit prominenten Gästen: Bundespräsident Johannes Rau und OSZE-Generalsekretär Ján Kubiš hielten die Festreden. Rau erklärte: „Mit der heutigen Gründung des Forschungszentrums setzt das Institut ein neues, hoffnungsvolles Zeichen: Endlich nehmen Wissenschaft und Politik die Verhütung von bewaffneten Konflikten ernst.“ Ortwin Runde, damals Erster Bürgermeister von Hamburg, sah in CORE „das ‘Gedächtnis‘ der OSZE als neuem Baustein der Friedensforschung“.

CORE betreibt Forschung und Wissenstransfer im engen Austausch mit dem Auswärtigen Amt, seinem wichtigsten Sponsor, wie auch mit den Vertreter*innen der Delegationen der OSZE-Teilnehmerstaaten in Wien, des OSZE-Sekretariats, der Feldoperationen, der drei Institutionen und der Parlamentarischen Versammlung. Seit seiner Gründung hat CORE Berichte zu unterschiedlichen Themen erstellt. Dazu zählen etwa die Stärkung des innergesellschaftlichen Dialogs in Tadschikistan, der Minderheitenschutz im Baltikum und auf dem Balkan, wirtschaftliche Instrumente für Konfliktmanagement in Transnistrien und Südossetien und Möglichkeiten der OSZE-Unterstützung von Rechtstaatlichkeit. Weitere Themen waren die Beziehungen zwischen China und der OSZE, die Stärkung des Generalsekretärs/der Generalsekretärin, konventionelle Rüstungskontrolle und die Zusammenarbeit zwischen der OSZE und dem Europarat. Diese Berichte spiegeln die politischen Veränderungen in der OSZE während der vergangenen 20 Jahren wider.

CORE baut zudem Brücken zwischen der Wissenschaft und der politischen Praxis. An der Gründung des OSZE-Netzwerkes von Think Tanks und akademischen Institutionen 2013 war das IFSH maßgeblich beteiligt. Mittlerweile ist dieses nichtstaatliche politikberatende Netzwerk auf 150 Mitgliedsinstitutionen aus über 40 Staaten angewachsen. Am IFSH laufen die Fäden zusammen, das Institut ist die Koordinierungsstelle des Netzwerkes. Ferner publiziert CORE zusammen mit dem Nomos-Verlag seit 2020 die neue Reihe OSCE Insights mit Beiträgen zu aktuellen OSZE-Themen. Wie schon das OSZE-Jahrbuch erscheint OSCE Insights auf Englisch, Deutsch und Russisch. Auch im Kapazitätsaufbau engagiert sich CORE. An der Gründung der OSZE-Akademie im kirgisischen Bischkek im Jahr 2002 war CORE federführend beteiligt, und seit 2007 veranstaltet CORE Trainingskurse für Diplomat*innen designierter OSZE-Vorsitzstaaten. Ein Höhepunkt war der deutsche OSZE-Vorsitz mit dem OSZE-Ministerratstreffen in Hamburg 2016, den CORE – unter seinem langjährigen Leiter Wolfgang Zellner – intensiv begleitet hat.

Wegen ihrer zunehmenden Differenzen engagieren sich europäische Regierungen weniger in der OSZE als zuvor. Gleichzeitig erfordern Frieden und Sicherheit gerade in Krisenzeiten multilaterale Zusammenarbeit. CORE berät die Teilnehmerstaaten, wie sie die OSZE wieder effektiver nutzen können. Mit einer Sonderausgabe von OSCE Insights untersucht CORE die Interessen ausgewählter Teilnehmerstaaten an der OSZE. CORE beteiligt sich zudem an der aktuellen Diskussion, wie die Zeit bis zum 50. Jahrestag der OSZE im Jahr 2025 genutzt werden kann, um die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung wiederzubeleben und weiterzuentwickeln.

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