Vom „War on Terror“ zum gesellschaftlichen Frieden

Dr. Hendrik Hegemann, PD Dr. Martin Kahl

Bereits in der frühen Arbeit des IFSH spiegelte sich die Annahme, dass Frieden und Sicherheit auch innerhalb demokratischer Gesellschaften an bestimmte Bedingungen geknüpft und nicht selbstverständlich sind. Wolf Graf von Baudissins Idee von Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ etwa diente in erster Linie der Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses der Streitkräfte und ihrer Verankerung in der demokratischen Gesellschaft; sie sollte aber auch selbst Bestandteil einer breiteren Demokratisierung dieser Gesellschaft sein. Dennoch konzentrierte sich die Arbeit am Institut unter dem Eindruck des Ost-West-Konflikts zunächst vor allem auf die Analyse von (Un-)Frieden und (Un-)Sicherheit zwischen Staaten. Nach dem Ende dieser Phase erweiterte das IFSH seine Forschungen in einem ersten Schritt auf Prozesse der Demokratisierung und des innergesellschaftlichen Ausgleichs in (Post-) Konfliktgesellschaften an der europäischen Peripherie, etwa in der Folge der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien.  

Mit Beginn des neuen Jahrtausends rückten dann insbesondere die Anschläge vom 11. September 2001 ein erweitertes Spektrum an Gewaltphänomenen und Bedrohungsdiskursen in den Fokus. Viele dieser Herausforderungen, allen voran der transnationale Terrorismus, ließen sich nicht mehr eindeutig dem Bereich der äußeren oder inneren Sicherheit zuordnen. Das IFSH reagierte darauf mit einem neuen Forschungsprogramm zur „Transnationalisierung von Gewaltrisiken“. Unter der Überschrift „Security Governance“ untersuchte dieses Programm unter anderem, wie westliche Demokratien Sicherheit unter sich wandelnden Bedingungen zu gewährleisten versuchen, etwa indem sie einzelne Sicherheitsaufgaben an private Akteure auslagern oder neue Formen der Risikoanalyse nutzen. 

Ein wesentlicher Fokus der Arbeit am Institut lag zu dieser Zeit auf der kritischen Analyse des „War on Terror“. In diesem Kontext rückte auch das Verhältnis von Sicherheit, Freiheit und Demokratie in den Blickpunkt. Ein DFG-Projekt untersuchte etwa politische Rechtfertigungsmuster bei der Einschränkung von Freiheitsrechten. Den im Jubiläumsjahr des IFSH anstehenden 20. Jahrestag von „9/11“ nutzen die Mitarbeiter*innen des Instituts in verschiedenen Formaten als Gelegenheit, um Bilanz zu ziehen, aber auch um bleibende und neue Herausforderungen des Umgangs mit terroristischer Gewalt zu diskutieren. Dies betrifft etwa die demokratische Kontrolle der Nachrichtendienste, die nach 2001 massiv ausgebaut wurden.

In den vergangenen Jahren hat sich das Themenspektrum der Forschung am IFSH nochmals erweitert. Hintergrund waren Entwicklungen, die Brüche und Polarisierungen innerhalb europäischer Gesellschaften zu Tage förderten und in einigen Fällen auch mit manifester Gewalt einhergingen. Politische Entscheidungen zur Bearbeitung der Euro- und Finanzkrise oder der sogenannten „Flüchtlingskrise“ führten zu – teilweise gewalttätigen – Protesten und Auseinandersetzungen. Rechtsextreme Gewalttaten nahmen zu, in vielen Ländern bekamen populistische und illiberale Bewegungen regen Zulauf. 

Im IFSH-Forschungsprogramm „Friedensstrategien an den Bruchstellen der Globalisierung“ untersuchte daher die Arbeitsgruppe „Neue innergesellschaftliche Gewaltpotenziale“, ob der „demokratische Frieden“ vor dem Hintergrund von Globalisierungsverwerfungen und zunehmenden gesellschaftlichen Spaltungen auch in seiner ursprünglichen Kernzone erodieren könnte. Dabei gewann die Forschung zu rechtsextremistischer Radikalisierung und Gewalt an Bedeutung. Das Team des IFSH entwickelte hier besondere Expertise zur Rolle des Internets und der sozialen Medien, etwa im Rahmen des BMBF geförderten Projektes PANDORA. Es sei daran erinnert, dass sich 2021 auch die Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya durch Anders Behring Breivik sowie die Aufdeckung der Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) zum zehnten Mal jährten. 

Vor diesem Hintergrund hat sich das IFSH 2018 entschieden, einen eigenen Forschungsbereich mit dem Titel „Gesellschaftlicher Frieden und Innere Sicherheit“ zu gründen. Diesem liegt ebenfalls die Annahme zugrunde, dass Frieden und Sicherheit auch innerhalb etablierter Demokratien fragil sind, allerdings aus anderen Gründen als zu Zeiten Baudissins. Der Forschungsbereich ist inzwischen fest in der Arbeit des Instituts etabliert. Aktuell untersucht das Team vor allem, wie Sicherheit und Frieden innerhalb demokratischer Gesellschaften unter den Bedingungen der Globalisierung und innergesellschaftlicher Polarisierung ausgestaltet werden können. Die Wissenschaftler*innen erforschen zudem, ob und wie illiberale, antipluralistische Bewegungen demokratische Gesellschaften herausfordern und welche neuen Gewaltpotenziale damit verbunden sind. Sie analysieren aber auch, wie Staaten und Gesellschaften auf diese Entwicklungen reagieren und welche Probleme sich dabei abzeichnen, etwa mit Blick auf das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Konkret beschäftigt sich zum Beispiel ein vom BMBF-gefördertes Projekt mit dem politischen und gesellschaftlichen Umgang mit dem radikalen Islam.

Ein weiteres BMBF-gefördertes Projekt analysiert, wie europäische Institutionen versuchen, den Zusammenhalt in und zwischen europäischen Gesellschaften zu fördern, indem sie ein umfassendes Sicherheits- und Schutzversprechen als neues Leitnarrativ europäischer Integration etablieren. Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen gesellschaftlichen und politischen Diskussionen verdeutlichen, wie relevant diese Themen sind und aller Voraussicht nach auch bleiben werden. Auf absehbare Zeit wird dem IFSH und seinen Mitarbeiter*innen nach 50 Jahren also auch in diesem Feld die Arbeit kaum ausgehen.
 

Die Anschläge vom 11. September 2001 setzten beim IFSH neue Forschungsschwerpunkte. (c) dpa Picture Alliance | Werner Baum